Samstag, 30. März 2013

Kambodscha 3: Phnom Penh und die Roten Khmer

24.2.2013 bis 28.2.2013


Phnom Penh ist uns von mehreren Seiten als besonders schön empfohlen worden. Vielleicht sind wir nach vier Monaten ein bisschen asienmüde und etwas unduldsamer gegenüber Verkehrschaos und Schmutz – jedenfalls tun wir uns mit dieser Stadt schwer, sie gefällt uns einfach nicht. Am meisten nervt uns der Verkehr,  man wird eigentlich immer und überall von Autos, Tuk Tuks und Mopeds gejagt. Bürgersteige gibt es, aber sie sind praktisch ausnahmslos zugeparkt, oft mit Luxusschlitten – schon etwas merkwürdig in einem der ärmsten Länder der Welt. Da fragt man sich, wohin eigentlich die Entwicklungshilfegelder fließen…

Breite Boulevards bestimmen das Stadtbild von Phnom Penh, die Franzosen haben sie anlegen lassen. Auch sonst erinnert noch viel an die Zeit der „Grande Nation“: Gebäude im Kolonialstil, Straßencafés und natürlich Baguette, das man hier praktisch an jeder Ecke kaufen kann. Doch selbst dieser viel gepriesene koloniale Charme geht im Straßenlärm irgendwie unter. Die Uferpromenade am Fluss Tonle Sap wird abends zur Flaniermeile und für sportliche Aktivitäten genutzt und ist eigentlich ganz nett, aber ebenfalls vom Verkehr umtost. Schwer zu schaffen macht uns in Phnom Penh auch die Hitze. Die Temperatur klettert tagsüber auf fast 40 Grad (im Schatten), man merkt, dass es allmählich auf die heiße Zeit zugeht. Aber wir wollen uns nicht beklagen, im Bergischen wird noch Schnee geschippt…..

Die Hauptsehenswürdigkeit in Phnom Penh ist der Königspalast, auf dessen weitläufigem Gelände sich u.a. der Wohnbereich des jetzigen Königs Norodom Sihamoni befindet. Sein Vater, der erst kürzlich verstorbene Norodom Sihanouk, war eine charismatische, schillernde Persönlichkeit, ein geschickter Taktierer, der alle politischen Wirren in seinem gebeutelten Land überstand und 1993 zum zweiten Mal König wurde.

An das dunkelste Kapitel in der Geschichte Kambodschas, die Schreckensherrschaft Pol Pots und der Roten Khmer in den 70er Jahren, erinnern zwei Gedenkstätten, das Tuol-Sleng-Museum mitten in der Stadt und Choeung Ek, eines der berüchtigten „Killing Fields“ ca. 15 km außerhalb.

Die Roten Khmer entwickelten sich aus einer radikalen Studentengruppe, die sich in den 50er Jahren in Paris gebildet hatte. Fast die gesamte spätere Führungsclique hatte, mit staatlichen Stipendien gefördert, in Paris studiert und war dort mit kommunistischem Gedankengut in Berührung gekommen. Nach ihrer Rückkehr aus Frankreich blieben diese Männer in engem Kontakt und wurden politisch aktiv, teilweise im Untergrund, spielten aber vorerst noch keine bedeutende Rolle. Ab 1970 begannen unterschiedliche Entwicklungen, die den Weg für die Machtübernahme Pol Pots („Bruder Nummer 1“ und Kopf der Gruppe) und seiner Roten Khmer bereiteten. Am 17.4.1975 marschierten die Roten Khmer in Phnom Penh ein. Vorausgegangen waren bürgerkriegsähnliche Zustände unter der Regierung von Lon Nol, der 1970 Sihanouk entmachtet hatte. Die Bevölkerung hieß deshalb die neuen Herren begeistert als Befreier und Friedensboten willkommen, wurde aber zu ihrem Erstaunen noch am gleichen Tag aufgefordert, die Stadt binnen 48 Stunden zu verlassen, angeblich weil ein Vergeltungsschlag der Amerikaner bevorstünde. Es gab keine Ausnahme, auch Krankenhäuser wurden evakuiert. Wer nicht gehorchte, wurde auf der Stelle erschossen. Die Ideologie der Roten Khmer war die bedürfnislose Gleichheit der Menschen und ihr Ziel, Kambodscha in einen Agrarstaat zu verwandeln. Städter passten nicht zu diesem Steinzeitkommunismus, sie waren dekadente, unverbesserliche Kapitalisten und mussten deshalb aufs Land umgesiedelt werden, um dort ihre neue Rolle als Bauern zu lernen. Mit Intellektuellen machten die Roten Khmer kurzen Prozess: Jeder, der studiert hatte, eine Fremdsprache beherrschte oder auch nur eine Brille trug, wurde ermordet. Schulen wurde(n) geschlossen, Bücher verbrannt, Religionsausübung verboten, Pagoden zerstört. Der Terror der Roten Khmer war einer der blutigsten in der gesamten Geschichte des Kommunismus. Selbst unter Stalin kamen prozentual zur Gesamtbevölkerung nicht so viele Menschen ums Leben wie unter Pol Pot. In der kurzen Zeit von 1975 bis 1979 verloren ca. 20 % der kambodschanischen Bevölkerung durch Mord, Folter, Hunger und Auszehrung ihr Leben.

Phnom Penh war innerhalb von 48 Stunden menschenleer, die über 2 Millionen Bewohner wurden über die Ausfallstraßen wie Vieh aufs Land getrieben, eine unfassbare Tragödie begann für die Bevölkerung. In der Geisterstadt wohnten fortan nur noch wenige Menschen, hauptsächlich Funktionäre der Roten Khmer. Aber nicht nur Phnom Penh wurde evakuiert, auch alle anderen Städte des Landes. Sozusagen im Schnellverfahren sollte Kambodscha in eine perfekte kommunistische Gesellschaft verwandelt werden. Wer z.B. für sich selbst Gemüse anbaute, wurde getötet. Alles Essbare, auch was in freier Natur wuchs, war Eigentum des Volkes und jeder „Diebstahl“ wurde sofort mit der Höchststrafe geahndet.

Der Einmarsch der Vietnamesen Anfang 1979 bedeutete zwar das Ende des Pol Pot-Regimes, nicht aber der Roten Khmer, die noch über Jahrzehnte die Menschen terrorisierten und das Land mit Bürgerkrieg überzogen. Erst die Intervention der Vereinten Nationen brachte in den 90er Jahren endlich Frieden in das geschundene Land.

Die Gedenkstätten Tuol Sleng und Choeung Ek

Tuol Sleng schauen wir uns zuerst an. Das frühere Schulgelände wurde von den Roten Khmer nach der Machtergreifung in die berüchtigte Folterkammer S 21 (Security Office 21) umfunktioniert. Insgesamt ca. 20.000 Kinder, Frauen und Männer wurden hier inhaftiert, gefoltert und anschließend in Choeung Ek ermordet. Zu Beginn „verhörte“ man hier hauptsächlich Funktionäre der Regierung Lon Nol. Auf Grund von Säuberungsaktionen in den eigenen Reihen füllten später aber immer mehr Kader der Roten Khmer selbst das Gefängnis. Fast niemand, der hierher kam, überlebte. Exekutionen wurden in S 21 zwar nicht durchgeführt, jedoch starben viele an den Folgen der Folter. Hingerichtet wurden die Gefängnisinsassen, nachdem sie alles zugegeben hatten, was man ihnen unterstellte, auf den berüchtigten „Killing Fields“ außerhalb Phnom Penhs, zu denen sie nachts mit Lastwagen transportiert wurden.

Auf dem Gelände von Tuol Sleng befinden sich vier Gebäude. In Gebäude A funktionierten die Roten Khmer die Klassenzimmer in große Einzelzellen um, in denen die Gefangenen auf Pritschen angekettet waren. Hier wurden auch die letzten Opfer gefunden, 14 insgesamt, darunter eine Frau. Die Gefängniswärter schnitten ihnen noch schnell die Kehlen durch, bevor sie flohen. Die Pritschen von damals stehen teilweise noch in den Räumen, die „passenden“ Fotos von den misshandelten Opfern hängen an den Wänden. Ansonsten sind die Räume vollkommen leer, wodurch der beklemmende Eindruck entsteht, die Schergen seien gerade erst verschwunden. Gebäude B ist schon eher wie ein Museum hergerichtet. Hier hängen endlose Galerien von Portraits der Gefangenen, die bei der Internierung peinlichst genau registriert und fotografiert wurden, darunter sehr viele junge Männer und Frauen, teilweise mit Babys. Sie schauen ängstlich, apathisch oder ratlos in die Kamera. Es gibt auch Fotos von der Führungsclique der Roten Khmer und von Folteropfern. Das sind keine „friedlichen“ Toten, sie haben Augen und Münder teilweise weit aufgerissen, als würden sie selbst im Tod noch leiden.

Gebäude C wurde nach dem Selbstmord einer Frau, die aus dem 2. Stock gesprungen war, komplett mit Stacheldraht versehen. Hier waren die Gefangenen in winzigen Einzelzellen oder in Gruppen in ehemaligen Klassenzimmern untergebracht. Wie in den anderen Räumen hängen auch hier oft noch die Schultafeln an den Wänden. Die Gefangenschaft in S 21 konnte mehrere Monate dauern. In dieser Zeit wurden die Gefangenen auf bestialische Weise gefoltert. Folterwerkzeuge und –geräte sind in Gebäude D zu sehen, außerdem schaurige Bilder vom „Alltag“ in Tuol Sleng, die Vann Nath, einer der wenigen Überlebenden von S 21 malen ließ. Leider befindet sich das Museum z.T. in einem bedauernswerten Zustand. Alles ist zugestaubt, die Seminarräume in Gebäude D wurden offenbar schon lange nicht mehr benutzt. Die Vergangenheitsbewältigung ist in Kambodscha ein heikles Thema. Würde die Zeit der Roten Khmer konsequent aufgearbeitet, säße wohl der Großteil des heutigen Parlaments auf der Anklagebank, denn viele haben irgendwann mit den Massenmördern paktiert, auch der verstorbene Norodom Sihanouk. Am Ausgang von Tuol Sleng sitzt einer der wenigen Überlebenden des Gefängnisses und macht Werbung für ein Buch über seine damaligen Erlebnisse. Er entging Folter und Tod, weil er eine Schreibmaschine reparieren konnte und fortan als Mechaniker eingesetzt wurde….

Nach dem Besuch von Tuol Sleng fahren wir weiter nach Choeung Ek, dem bekanntesten der über 300 „Killing Fields“ in Kambodscha. 129 Massengräber wurden hier gefunden, 2/3 davon geöffnet und die Gebeine würdig in einem Gedenkstupa aufgebahrt. Wenn die Gefangenen von Tuol Sleng die Folter überlebten, brachte man sie hierher zur Exekution. Sie mussten sich vor ihre Gräber knien und wurden dann mit allem, was zur Verfügung stand, erschlagen: Hämmern, Äxten, Werkzeug, Macheten, Wagenachsen. Kugeln waren den Roten Khmer zu teuer, deshalb wurden die Opfer nicht erschossen. Eine Parole von Pol Pot lautete: „Lieber versehentlich einen Unschuldigen töten, als einen Feind aus Versehen schonen.“
Man kann sich das Mausoleum anschauen und einen Rundgang über das Gelände machen, Hinweisschilder informieren z.B. darüber, wo nachts die Lastwagen hielten und die Opfer aussteigen mussten, einzelne Massengräber sind noch als Mulden erkennbar. Viel ist sonst nicht mehr zu sehen, es befand sich aber auch nie viel hier, es waren wirklich „nur“ Hinrichtungsstätten, „Killing Fields“ eben. Ganz automatisch unterhält man sich hier aus Respekt vor den Opfern nur noch im Flüsterton. Als Deutscher fühlt man sich in besonderer Weise berührt, weil sich Vergleiche mit dem Dritten Reich aufdrängen.

Von Phnom Penh fliegen wir zurück nach Bangkok, wo wir nur einen Tag bleiben, um unsere Abreise nach Hongkong vorzubereiten. Unsere Zeit in Südostasien ist, leider, leider, damit endgültig zu Ende. 


 Phnom Penh: Auf dem Bürgersteig geparkter Luxusschlitten
 und ein Mönch auf dem Almosengang


 Die Fahrradrikscha ist hier noch ein wichtiges Transportmittel.


Uferpromenade am Tonle Sap


Dieser Aushang in unserem Hotelzimmer läßt erahnen, dass die jüngere Geschichte Kambodschas alles andere als konfliktfrei verlaufen ist.


 Am Eingang zum Königspalast



Portraits des kürzlich verstorbenen Norodom Sihanouk mit Trauerflor


Die Thronhalle auf dem Gelände des Königspalasts


Tuol Sleng, ehemaliges Schulgebäude und später die Folterkammer der Roten Khmer


Tuol Sleng: Gebäude C, komplett mit Stacheldraht gesichert


17.4.1975: Die Bevölkerung von Phnom Penh jubelt den einmarschierenden Roten Khmer zu......


 ....aber noch am selben Tag erfolgt der Befehl, die Stadt umgehend zu verlassen.



Wappen der Roten Khmer: 
Bewässerungsanlagen, Reisfelder und Fabriken sollen den Wohlstand sichern.


Tuol Sleng, Gebäude A: 
In diesem ehemaligen Klassenzimmer wurden die Gefangenen verhört und oft zu Tode gefoltert.


Gebäude A: Pritsche und Foto eines Folteropfers,
 wie von den einmarschierten Vietnamesen 1979 vorgefunden


Folteropfer


Gebäude C: winzige Einzelzellen für die Gefangenen 


Fotos von den Gefangenen  1


Fotos von den Gefangenen 2


                                                              Fotos von den Gefangenen 3



Auch einige Ausländer gerieten wie dieser Australier in die Fänge der Folterknechte.


Folteropfer, von den Roten Khmer dokumentiert. 


Eine der Foltermethoden in Tuol Sleng


      Angestaubter Seminarraum in Tuol Sleng: 
Hier hat schon lange keine Veranstaltung mehr stattgefunden.


     Einer der ganz wenigen Überlebenden von Tuol Sleng macht Werbung für sein Buch.


                                         Der Gedenkstupa für die Opfer von Choeung Ek


Gebeine, die in den Massengräbern von Choung Ek gefunden wurden. 


Das ist der Hauptverantwortliche für den Völkermord in Kambodscha: 
Saloth Sar, besser bekannt unter seinem Decknamen Pol Pot. 
Dieser selbstgewählte Name ist eine Abkürzung von "politique potentielle",
 so bezeichneten die chinesischen Maoisten den ehrgeizigen Jungkommunisten aus Kambodscha.


Das ist die heutige politische Führungsspitze in Kambodscha - 
diese Plakate haben wir unterwegs tausendfach gesehen.


Ende unserer Südostasienreise: 
Wir fahren mit dem Tuk Tuk zum Flughafen von Phnom Penh.
 Die Räder haben wir wieder in die Plastiktaschen gepackt,
 die uns der falsche Passagier in Madrid verkauft hat.