Freitag, 28. Dezember 2018

Sarajevo 2017



Am Vormittag des 3.10.2017 landen wir bei klarem, sonnigen Wetter sicher in Sarajevo. Gerold ist gnädig und erzählt mir erst später, dass die Hauptstadt Bosnien und Herzegowinas aufgrund ihrer besonderen topographischen Lage nur von Piloten mit einer Spezialausbildung angeflogen werden darf, denn Sarajevo liegt in einem Talkessel, umgeben von bis zu 2000 m hohen Bergen. Das Zentrum erstreckt sich auf ca. 500 m Höhe im langgezogenen Tal des Flusses Miljacka, drumherum klettern die Häuser aber teilweise bis auf 900 Meter in die Berghänge. Unser Airbnb-Gastgeber holt uns vom Flughafen ab, der etwas außerhalb in der Nähe des Ortes Ilidža liegt, ein besonderer Service, weil wir sieben Nächte gebucht haben. Durch unspektakuläre Vororte erreichen wir schnell das Zentrum von Sarajevo. Uns erwartet eine geräumige, voll eingerichtete Wohnung, die wir ganz alleine nutzen dürfen, nur wenige Schritte von der Altstadt entfernt und mit einem tollen Blick auf die Gazi-Husrev-Beg-Moschee und den daneben liegenden Uhrturm Sahat Kula, besonders schön in der Dunkelheit anzusehen, wenn Minarett und Uhrturm beleuchtet sind.

Blick von unserer Unterkunft auf die Altstadt von Sarajevo




Am Abend ist der Blick auf die Gazi-Husrev-Beg-Moschee und den Uhrturm rechts daneben besonders schön.




An unserem ersten Sarajevo-Tag lassen wir uns nur treiben, spazieren durch die Gassen der kleinen, wunderschön renovierten Altstadt, der Baščaršija, dem ältesten und touristischsten Viertel Sarajevos, das auf die osmanische Zeit zurückgeht. Hier befinden sich die meisten Souvenirshops, unzählige Restaurants, Cafés und viele Sehenswürdigkeiten. Obwohl die Hauptsaison vorbei ist, bevölkern noch erstaunlich viele Touristen die Straßen, hauptsächlich lärmige Gruppen aus China. Trotzdem ist die Altstadt kein Ort nur für Touristen, hier sind in großer Zahl auch die Einheimischen unterwegs, denn fast die gesamte Altstadt ist Fußgängerzone und lädt geradezu zum entspannten Flanieren ein. Kaum noch vorstellbar, dass hier zu Beginn der 90er Jahre ein blutiger Krieg tobte…. 




In der Baščaršija, der Altstadt von Sarajevo



Dito



Typischer Souvenirladen in der Altstadt


Tito als Kühlschrank-Magnet


Fragwürdige Souvenirs.....



Hier wird die Peka verkauft, ein traditionelles Kochgerät, sozusagen der Dutch Oven des Balkans.... Unter der glockenförmigen Haube schmoren Fleisch oder auch Fisch zusammen mit Kartoffeln und Gemüse und verbinden sich zu köstlichen Gerichten. Leider passte die Peka nicht in unser Fluggepäck....



Teestuben gibt es überall in der Altstadt...




Typische Szene in der Altstadt


Die Hauptachse der Baščaršija, die Sarači-Straße, endet an der Ferhadija, ebenfalls eine Straße nur für Fußgänger, wo das von österreichisch-ungarischer Architektur dominierte, eher westeuropäisch anmutende, modernere Sarajevo beginnt. An dieser deutlichen Schnittstelle von Ost und West liegt die „Süße Ecke“, so genannt, weil sich hier etliche Cafés und Konditoreien befinden, die kalorienreiche orientalische Leckereien wie Baklava anbieten, normalerweise nicht unbedingt unser Fall, aber in unserem Lieblingscafé Butik Badem so köstlich, dass wir dort mehrfach einkaufen. Am Abend kehren wir in einer einfachen, gut von Einheimischen besuchten Ćevabdžinica in der Altstadt ein, wo wir hervorragende Ražnjići (Fleischspieße) und Ćevapčići (Hackfleischröllchen) mit rohen Zwiebeln im Fladenbrot essen. Im Laufe des Aufenthalts wird das unser Stammrestaurant. Zwar suchen wir auch nach vegetarischen Gerichten, die aber keine wirkliche Alternative sind, und so landen wir am Ende fast immer in unserer unschlagbar leckeren Ćevabdžinica Petica Ferhatović . Vegetarier dürften es ohnehin schwer haben in Sarajevo, die traditionelle bosnische Küche basiert auf Fleisch, und so findet man in den meisten Restaurants nur Ražnjići und Ćevapčići und Ćevapčići und Ražnjići…







Okzident trifft Orient: Blick zurück in die Sarači-Straße in der osmanisch geprägten Altstadt, der Baščaršija......


 




........ und nach vorne in die von österreichisch-ungarischer Architektur dominierte Ferhadija-Straße.





 Am Ende der Ferhadija/Ecke Marsala Tita befindet sich die "Ewige Flamme", die an die Befreiung Sarajevos im 2. Weltkrieg erinnert.





Heute ist diese Stelle ein beliebtes Fotomotiv.




         Ćevapčići, traditionell serviert in Pita-Brot und mit rohen Zwiebeln





Ražnjići und Ćevapčići




Macht süchtig: Baklava aus unserem Lieblingscafé




In der Altstadt lassen wir uns oft für einen leckeren arabischen Kaffee nieder.

Beim Geldwechsel überkamen uns übrigens wehmütige Gefühle: In Bosniens Währung, der Konvertiblen Mark (KM), lebt nämlich die Deutsche Mark weiter. Sie war früher neben anderen Währungen in Bosnien sehr verbreitet und so einigte man sich nach dem Bosnienkrieg auf die KM als Währung, bis 2001 an die DM angelehnt, seit 2002 an den Euro. 


Am nächsten Morgen spazieren wir zunächst zu einem der beliebtesten Aussichtspunkte Sarajevos im Stadttei Kovači. „Klettern“ wäre der passendere Ausdruck, denn die Straßen zum „Gelben Turm“ hinauf sind unglaublich steil und führen teilweise über Kopfsteinpflaster. Von dem Turm, der zu einer Festung gehörte, ist zwar nicht mehr viel übrig, aber der Panoramablick auf Sarajevo lohnt die Anstrengung. Wir steigen noch höher zum sogenannten Weißen Turm, eigentlich eine Bastion und ebenfalls Bestandteil einer ehemaligen Festungsanlage. Hierhin verirrt sich kaum ein Tourist, obwohl der Blick in die Ebene von Sarajevo noch beeindruckender ist. Allerdings sieht das Gelände hier oben nicht besonders attraktiv aus, überall ist Abfall und allerlei anderer Unrat verstreut. Unterhalb vom Gelben Turm liegt ein großer muslimischer Friedhof, dem wir auf dem Rückweg einen Besuch abstatten. Es ist eine alte Begräbnisstätte, die bereits im 15. Jahrhundert angelegt wurde. Lange durfte dort niemand mehr beerdigt werden, weil die Kapazitäten ausgeschöpft waren, bis während der Belagerung von Sarajevo zu Beginn der 90er Jahre der Platz für die zahlreichen Kriegstoten ausging. Dicht an dicht stehen jetzt hier die weißen Grabsteine, und sieht man genauer hin, so stellt man fest, dass die meisten Sterbejahre tatsächlich zwischen 1992 und 1995 liegen und dass es oft sehr junge bosnische Soldaten waren, die hier bestattet wurden, nachdem sie bei der Verteidigung Sarajevos in einem sinnlosen Krieg ihr Leben gelassen hatten. 



Unterwegs zum Aussichtspunkt im Stadtteil Kovači



Blick auf Sarajevo vom Aussichtspunkt am Gelben Turm, links die Miljacka, rechts der muslimische Friedhof.



Dito. Etwa in der Mitte vorne ist gut zu erkennen das im pseudo-maurischen Stil erbaute Rathaus am rechten Ufer der Miljacka, hinten rechts sieht man den alles überragenden Avaz Twist Tower, ein Bürohochhaus, das gelbe Gebäude hinten links ist das legendäre Hotel Holiday Inn.



Blick auf Sarajevo vom Weißen Turm.




Der muslimische Friedhof im Stadtteil Kovači unterhalb vom Aussichtspunkt "Gelber Turm", den man im Hintergrund sieht. Viele junge Kriegstote aus der Zeit der Belagerung Sarajevos fanden hier ihre letzte Ruhe.


Dito

Am Nachmittag nehmen wir die Tram und fahren nach Ilidža. Die Schmalspurbahn gehört zu den ältesten Straßenbahnen Europas, erbaut unter den Habsburgern als Teststrecke für die Straßenbahn von Wien und 1885 in Betrieb genommen. Während der Belagerung Sarajevos zu Beginn der 90er Jahre ging ein großer Teil des Wagenparks verloren, die Tram fuhr aber teilweise auch während des Krieges auf einer provisorischen Kurzstrecke, ausgestattet mit dicken Blechplatten, um die Fahrer vor den Kugeln der Sniper zu schützen.



Die Tram von Sarajevo 

Für uns ist die Fahrt heute ungefährlich und ein echtes Erlebnis, gemächlich ruckeln wir in den kleinen Waggons entlang der «Ulica Zmaja od Bosne» Richtung Ilidža. Während der Belagerung erlangte diese Hauptverkehrsachse Sarajevos traurige Berühmtheit als „Sniper Alley“. Sniper – Heckenschützen der bosnisch-serbischen Milizarmee - lauerten in den Hügeln rund um die Stadt und schossen auf alles, was sich bewegte. Die Straße wurde damals zur Todeszone und sie zu überqueren war ein lebensgefährliches Unterfangen. 65 Kilometer lang waren die Linien auf den Hügeln rund um Sarajevo. Alle 600 Meter hatten die bosnischen Serben Artillerie postiert. Überall in der Stadt sieht man übrigens heute noch in den Häuserfassaden Einschusslöcher aus dieser Zeit.

Vorausgegangen war der allmähliche Zerfall Jugoslawiens nach Titos Tod 1980. Eine Wirtschaftskrise zu Beginn der 80er Jahre beförderte latente nationalistische Tendenzen, die zuvor unter Tito erfolgreich unterdrückt worden waren. Im März 1992 hatte sich Bosnien und Herzegowina per Referendum von Jugoslawien losgelöst und für unabhängig erklärt. Nach Slowenien, Kroatien und Mazedonien war Bosnien damit die vierte Teilrepublik, die sich von dem Mutterstaat abzuspalten versuchte. Doch wie schon bei den anderen Staaten boykottierten damals auch im Fall Bosniens weite Teile der serbischen Mitbevölkerung die Unabhängigkeitsbestrebungen. Dem damaligen Präsidenten Serbiens, Slobodan Miloševi?, kam das nicht ungelegen. Schon lange war unter den serbischen Minderheiten vor allem in Kroatien und Bosnien gezielt die Angst geschürt worden, dass sie in einem unabhängigen Kroatien oder Bosnien unterdrückt und schlecht behandelt werden könnten. Das bereitete den Nährboden für die Ausbreitung einer Ideologie der Schaffung eines "Großserbiens". Dazu sollten neben Serbien eben auch die Teile Bosniens und Kroatiensgehören, in denen viele Serben lebten, möglichst "gesäubert" von den ebenfalls dort lebenden muslimischen Bosniaken bzw. katholischen Kroaten, damit der Errichtung eines großserbischen Staates nichts mehr im Wege stand... Die bosnischen Serben unter der Führung von Radovan Karadži? boykottierten deshalb 1992 das Unabhängigkeitsreferendum von Bosnien-Herzegowina, sie wollten Teil (Rest-)Jugoslawiens bleiben und hatten ihrerseits schon vorher auf bosnischem Gebiet die „Republika Srpska“ ausgerufen, die bis heute besteht. Im Vielvölkerstaat Jugoslawien hatte die Zugehörigkeit zu einer Ethnie oder Religion eigentlich keine große Rolle gespielt. Es gab sehr viele Mischehen, in Sarajevo war sogar fast jede dritte Ehe eine Mischehe. Aber wo man bisher friedlich zusammengelebt hatte, war es jetzt plötzlich von Bedeutung, welcher Ethnie und Religion man angehörte. Schon vorher hatte es Kämpfe gegeben, jetzt eskalierte der Konflikt zwischen bosnischen Serben und den großenteils muslimischen Bosniaken. Die bosnisch-serbische Miliz nahm, zu Beginn auch mit Unterstützung der jugoslawischen Volksarmee, das Stadtzentrum von Sarajevo unter Beschuss und brachte den Flughafen in ihre Gewalt. Straßensperren wurden errichtet, die Berge um Sarajevo von bosnisch-serbischer Artillerie besetzt, die Hauptzufahrtswege nach Sarajevo blockiert, so dass Lebensmittel und Medikamente nicht mehr in die Stadt gelangen konnten. Die Belagerung Sarajevos dauerte 1425 Tage. In dieser Zeit wurde jeden Tag auf die überwiegend muslimische Bevölkerung Sarajevos geschossen. Mehr als 11.000 Menschen starben, über 50.000 wurden verletzt, als sie für Brot oder Wasser anstanden, ein Fußballspiel anschauten, als sie versuchten, die Straßen zu überqueren, auf dem Heim- oder Schulweg waren… Und das alles geschah mitten in Europa, vor den Augen der Weltöffentlichkeit, die lange Zeit mehr oder weniger tatenlos zuschaute. Immerhin organisierten die Vereinten Nationen eine Luftbrücke in die eingeschlossene Stadt. Bei der Versorgung Sarajevos spielte außerdem ein ca. 740 Meter langer Tunnel, der 1993 in einem Kraftakt direkt unter der Flughafenpiste gegraben worden war, eine große Rolle. Er verband den von bosnischen Serben belagerten Stadtteil Dobrinja mit dem bosniakisch kontrollierten Stadtteil Butmir, diente zum Transport von Lebensmitteln, Medizin, Waffen etc. und auch als Fluchttunnel, denn bis dahin versuchten die eingeschlossenen Bewohner Sarajevos meist nachts im Schutze der Dunkelheit über das Rollfeld des Flughafens zu fliehen, gerieten dabei aber oft ins Visier der serbischen Scharfschützen. Nach dem Ende der Belagerung wurde der Tunnel großenteils eingerissen, ein ca. 20 m langes Stück davon blieb aber erhalten und kann heute in dem kleinen Ort Butmir unweit des Flughafens besichtigt werden. Von Ilidža nehmen wir den Bus dorthin, ein freundlicher junger Mann, der seine Englischkenntnisse testen möchte, hilft uns, an der richtigen Stelle auszusteigen. Es ist dem Einsatz der Familie Kolar zu verdanken, dass ein Stück des Tunnels erhalten blieb. An ihrem Haus wurde mit dem Tunnelbau begonnen und dort befindet sich heute auch das Museum. Zu sehen ist das Tunnelstück, durch das man gebückt gehen kann, außerdem Schubkarren, Schaufeln und anderes Arbeits- und Transportgerät, zahlreiche Fotos und ein Dokumentarfilm. Zunächst wurden Nahrungsmittel, Medizin etc. mit Rucksäcken durch den niedrigen Tunnel transportiert, später verlegte man Schienen und benutzte Loren für den Transport. Es ist ein kleines, aber sehr interessantes Museum, das die Erinnerung an dieses traurige Kapitel der Geschichte Sarajevos bewahrt
.



Das Kriegstunnel-Museum in Butmir. Während der Belagerung von Sarajevo zu Beginn der 90er Jahre diente der Tunnel zum Transport von Lebensmitteln, Medikamenten und auch zur Flucht.





                                                   Dito



Auch in Ilidža schauen wir uns noch kurz um. Schon die Römer wussten den bekannten Kur- und Badeort wegen seiner wohltuenden Thermalquellen zu schätzen, heute zieht er vor allem zahlungskräftige Gäste aus den Golfstaaten an. Die Wüstenbewohner stillen in Bosnien ihre Sehnsucht nach grüner Natur, Flüssen und Gebirgslandschaften. Außerdem leben hier ja auch Muslime. Laut unserem Gastgeber ist Ilidža während der Hauptsaison fest in saudi-arabischer Hand, tief verschleierte Frauen bevölkern dann die drei Kilometer lange, bekannte Platanenallee zur Bosna-Quelle, die ein beliebtes Ausflugsziel ist. Die Begeisterung der bosnischen Muslime über die zahlungskräftigen Strenggläubigen hält sich allerdings in Grenzen. Sie fürchten, dass diese auch ihre Kultur und ihre Gebräuche mitbringen und sich mit der Kraft ihres Geldes zu sehr einmischen, denn zumindest in Sarajevo wird ein eher gemäßigter, weltoffener und liberaler Islam gepflegt, zu dem voll verschleierte, komplett schwarz gekleidete Frauen nicht passen. Westlich angezogene Frauen würden von der saudischen Klientel schon mal aufgefordert, sich doch bitte züchtiger zu kleiden und zu verhüllen, so jedenfalls unser Sarajevo-Gastgeber, der von dieser Art von Einmischung überhaupt nicht angetan war.

Jetzt ist die Platanenallee verwaist und die Fiaker warten vergeblich auf Kundschaft. In der Habsburgerzeit wurde Ilidža zum Vorzeigekurort, mit prächtigen Parkanlagen, Bädern und Hotels wie dem „Austria“. Gerne hätten wir einen Blick in dieses Hotel geworfen, aber es wird gerade aufwendig renoviert. Hier war der österreichische Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand abgestiegen, bevor er am 28. Juni 1914 zusammen mit seiner Gattin Sophie zu der verhängnisvollen Fahrt nach Sarajevo aufbrach, die mit dem Tode beider endete und schließlich den Ersten Weltkrieg auslöste. Damals rückte Sarajevo zum ersten Mal in den Fokus der Weltöffentlichkeit . Anlässlich der 14. Olympischen Winterspiele richtete sich die Aufmerksamkeit 1984 erneut auf Sarajevo. Es waren die ersten Spiele auf dem Balkan und in einem sozialistischen Land, Sarajevo präsentierte sich als weltoffen, multikulturell und modern. Katarina Witt gewann damals ihre erste Goldmedaille für die DDR. Nicht einmal 10 Jahre später war Sarajevo ein lebensgefährlicher Ort, in dem Scharfschützen das Kommando übernommen hatten. Die Halle, in der Katarina Witt ihre Goldrunden gedreht hatte, wurde zur Leichenhalle. Wieder schaute die Welt nach Sarajevo, dieses Mal voller Entsetzen... Weil die Europäische Union im Bosnienkrieg nicht wirklich etwas unternahm, verlor Bill Clinton schließlich angesichts der Berichte von grausamen Kämpfen und ethnischen Säuberungen in Bosnien die Geduld und erzwang 1995 Verhandlungen, die zum Abkommen von Dayton führten und den Krieg beendeten.

Mit der Straßenbahn fahren wir zurück nach Sarajevo. Am Abend spazieren wir durch die wie immer geschäftige Fußgängerzone. Fast 80 % der Einwohner Sarajevos gehören dem islamischen Glauben an, im Straßenbild jedoch sind Kopftücher seltener als in mancher deutschen Stadt, tief verschleierte Frauen sucht man vergeblich, aber vielleicht täuscht dieser erste Eindruck eines eher liberalen Islams auch. In den meisten Restaurants wird Alkohol ausgeschenkt, am Rande der Altstadt zum Fluss Miljacka hin existiert ein richtiges Kneipenviertel.



Im Kneipenviertel von Sarajevo unweit der Miljacka



Tief verschleierte Frau in der Altstadt von Sarajevo - ein eher seltenes Bild.

 
Am nächsten Morgen besichtigen wir als gute Christen die katholische Kathedrale in der Ferhadija. Vor dem Gotteshaus steht mahnend eine drei Meter hohe Statue von Papst Johannes Paul II., als Erinnerung an seinen Besuch in Sarajevo nach dem Bosnienkrieg 1997. Die katholische Bevölkerung Bosnien-Herzegowinas, die überwiegend der kroatischen Volksgruppe zuzuordnen ist, hat sich seit dem Bosnienkrieg durch Vertreibung und Auswanderung halbiert, heute ist nur noch jeder zehnte hier Katholik. Auch Papst Franziskus weilte schon in Sarajevo, 2015 zelebrierte er hier eine Freiluftmesse und beschwor mit salbungsvollen Worten den Weltfrieden.

Die katholische Kathedrale in der Ferhadija, rechts im Bild die Statue von Papst Johannes Paul II., die an seinen Besuch von 1997 erinnert.


Anschließend schlendern wir zur Lateinerbrücke über den Fluss Miljacka, der Sarajevo in seiner ganzen Länge durchfließt und in zwei Hälften teilt. Zahlreiche Brücken führen über die Miljacka, die berühmteste ist aber wohl die Lateinerbrücke aus osmanischer Zeit, in deren unmittelbarer Nähe sich am 28. Juni 1914 das tödliche Attentat auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand und dessen Frau Sophie ereignete, das als Auslöser des Ersten Weltkriegs in die Geschichte einging.
 
An diesem sonnigen Tag bestiegen der Thronfolger und seine Gattin für die Fahrt zum Rathaus von Sarajevo ein Auto und bewegten sich in einer Kolonne von sechs weiteren Wagen im Schritttempo die Miljacka entlang Richtung Rathaus, wo ein Empfang stattfinden sollte. Trotz der Warnungen vor einem Anschlag nationalistischer Serben, die eine Befreiung Bosnien-Herzegowinas von der österreichisch-ungarischen Herrschaft anstrebten, fuhr das Ehepaar mit offenem Verdeck. Zudem war die Route des Konvois kein Geheimnis, sie hatte schon Tage vorher in der Zeitung gestanden, wohl, um möglichst viele Zuschauer anzulocken. Unter den Schaulustigen, die jubelnd die Straßen säumten und an denen der Autokorso praktisch ungeschützt vorbeifuhr, befanden sich aber auch sechs serbische Verschwörer. Ausgestattet mit Bomben, Pistolen und Giftkapseln zur Selbsttötung warteten sie, einzeln postiert entlang der Strecke, auf ihre Chance, den Thronfolger zu töten. Zwei von ihnen ließen die Wagenkolonne tatenlos passieren, der dritte zündete eine Bombe und warf sie auf den Wagen von Franz Ferdinand. Die Bombe wurde, von wem auch immer, darüber gibt es unterschiedliche Versionen, abgewehrt und explodierte unter dem Wagen dahinter, das Herrscherpaar blieb unverletzt. Der Attentäter versuchte noch schnell, sich das Leben zu nehmen, indem er Zyankali schluckte und zusätzlich in die Miljacka sprang, aber beides führte nicht zum gewünschten Ergebnis: Das Gift war von schlechter Qualität und tötete ihn nicht und der Fluss hatte zu wenig Wasser, als dass man darin hätte ertrinken können. Der Bombenwerfer wurde gefasst und festgenommen. Statt sich jetzt so schnell wie möglich aus der Gefahrenzone zu entfernen, setzte Franz Ferdinand die Fahrt wie geplant bis zum Rathaus fort. Dort wurde nach dem Empfang beratschlagt, wie weiter zu verfahren sei. Immer noch hätte die Möglichkeit bestanden, den Besuch abzubrechen und damit den tödlichen Ausgang zu verhindern. Aber am Ende entschied Franz Ferdinand, nur die Route vom Rathaus zurück leicht zu verändern: Statt rechts in die Franz-Joseph-Straße (heute: Zelenih beretki) abzubiegen und in die Altstadt zu fahren, sollte die Wagenkolonne auf der übersichtlicheren Straße entlang der Miljacka bleiben. Es wurde aber versäumt, diese lebenswichtige Information dem Führungsfahrer mitzuteilen, der prompt falsch abbog. Die Wagen Nummer zwei und drei, in dem Franz Ferdinand mit seiner Gattin bei immer noch offenem Verdeck saß, machten Anstalten, ihm zu folgen, wurden aber dann angewiesen, wieder zurückzusetzen. Für einen kurzen Moment kam die Kolonne genau an der Kreuzungsecke gegenüber der Lateinerbrücke vor einem Delikatessenladen zum Stehen. Attentäter Nummer 5, der bosnische Serbe Gavrilo Princip, Mitglied einer serbisch-nationalistischen Vereinigung, die die Habsburger aus tiefstem Herzen verabscheute, hatte schon resigniert und sich dort gerade für eine kleine Stärkung niedergelassen oder angestellt - darüber gibt es unterschiedliche Versionen. Er traute wohl seinen Augen nicht, als er den Thronfolger plötzlich wie auf dem Präsentierteller vor sich hatte. Kurz entschlossen zog er seine Pistole und eröffnete aus nächster Nähe das Feuer. Die erste Kugel durchdrang die Fahrzeugwand und traf dann den Unterleib der Herzogin, Franz Ferdinand wurde von der zweiten Kugel schwer am Hals verletzt, beide starben innerhalb kürzester Zeit, an ihrem Hochzeitstag übrigens.



Der Fluss Miljacka teilt Sarajevo in zwei Hälften.






Die Lateinerbrücke führt zu der Straßenecke, an der Gavrilo Princip am 28. Juni 1914 eher zufällig zum Attentäter wurde.







An dieser Straßenecke wurden der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand und seine Gattin Sophie erschossen, heute ist dort das Museum Sarajevo untergebracht. Das Attentat löste den Ersten Weltkrieg aus.







Wo sich heute das Museum Sarajevo befindet, war 1914 der Delikatessenladen von Moritz Schiller. Dort wollte sich Gavrilo Princip angeblich eine Stärkung kaufen.


Den Delikatessenladen, vor dem das Attentat geschah, gibt es natürlich nicht mehr. An der Stelle ist heute das Museum Sarajevo untergebracht, das zur Erinnerung an die damaligen Ereignisse eingerichtet wurde. Es dokumentiert das Attentat mit Fotos und zeigt einige Ausstellungsstücke in Glasvitrinen, wie z.B. die Pistole, die Princip benutzte. Darüber hinaus wird auch der Alltag in Sarajevo nach der österreichisch-ungarischen Machtübernahme gezeigt. Es ist ein kleines, aber sehr informatives Museum, das wir uns mit großem Interesse anschauen. Schon alleine an der Stelle zu stehen, wo 1914 das folgenschwere Attentat geschah, ist für uns, die wir uns sehr für Geschichte interessieren, ein besonderes Gefühl.



     In den Boden eingelassene Fußabdrücke markierten bis 1992 den mutmaßlichen Standort, von dem aus Gavrilo Princip die tödlichen Schüsse abgab. Sie wurden während des Bosnienkriegs zerstört und entfernt.






 

          Heute erinnert eine Gedenktafel an das folgenschwere Attentat 
vom 28. Juni 1914. 







 Franz Ferdinand und seine Frau Sophie (ganz hinten) in ihrem offenen Wagen am Tag des Attentats





Der Wagen, in dem das Thronfolgerehepaar erschossen wurde, kann im Heeresgeschichtlichen Museum in Wien besichtigt werden.Ganz hinten links am offenen Verdeck ist das Einschussloch der ersten Kugel zu erkennen.


 Das Einschussloch der ersten Kugel, die Herzogin Sophie 
tödlich im Unterleib verletzte.






Der Erste Weltkrieg, der 17 Millionen Menschen das Leben kostete, begann 4 Wochen später, am 28. Juli 1914, mit der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien. Vorausgegangen war ein Ultimatum Österreichs an Serbien, die Vorgänge um das Attentat mit österreichischer Beteiligung gerichtlich untersuchen zu lassen, was Serbien abgelehnt hatte. Serbien konnte mit der Solidarität Russlands rechnen, Österreich wiederum hatte sich der uneingeschränkten Unterstützung durch das deutsche Kaiserreich versichert. Es folgte die deutsche Kriegserklärung an Russland und Frankreich, dann trat auch Großbritannien in den Krieg ein, später folgten die USA. Die Frage der Schuld am Ausbruch des Krieges wird bis heute kontrovers diskutiert, aber das Attentat in Sarajevo spielt dabei immer eine Rolle.





Wir erholen uns nach so viel Geschichte in einem der vielen gemütlichen Cafés in der Altstadt. Nach der Pause steht noch ein weiteres Museum auf unserem Programm, das Jüdische Museum, untergebracht in der ältesten Synagoge Bosniens gleich um die Ecke von unserer Unterkunft, die in dem früheren jüdischen Viertel liegt. Es ist ein sehr schönes, komplett renoviertes Gebäude, das heute nur noch an besonderen Tagen zum Gebet genutzt wird. Im Erdgeschoss und in zwei Galerien wird das Leben der Juden in Bosnien und Sarajevo gezeigt. Zu sehen sind Fotos, Dokumente, Gemälde. Vor dem 2. Weltkrieg lebten etwa 10.000 Juden in Sarajevo, 1941 marschierten deutsche Truppen ein und begannen mit Deportationen, fast alle Juden kamen dabei ums Leben. Heute leben noch etwa 700 Juden in Sarajevo.



Durch den modernen Stadtteil Marijin Dvor mit großen Einkaufszentren laufen wir auch noch zum alten jüdischen Friedhof ein gutes Stück außerhalb des Zentrums. Nach Prag ist es der zweitgrößte in Europa. Er liegt hoch über der Ebene von Sarajevo und bietet einen schönen Blick auf die neueren Stadtteile. Viele Inschriften auf den Grabsteinen sind in Judenspanisch verfasst, der traditionellen Sprache der sephardischen Juden. So bezeichnen sich die Juden und ihre Nachfahren, die bis zu ihrer Vertreibung Ende des 15./zu Beginn des 16. Jahrhunderts auf der Iberischen Halbinsel lebten und sich dann großenteils im Herrschaftsgebiet des Osmanischen Reiches niederließen, u.a. in Bosnien. Die meisten bosnischen Juden waren deshalb früher Sepharden. Neben der iberischen Kultur und Küche brachten sie ihre Sprache mit, die sie auch in den neuen Siedlungsgebieten pflegten. Bis heute konnte auf diese Weise ein Spanisch konserviert werden, das in Grammatik und Wortschatz letztendlich dem Stand im 15./16. Jahrhundert entspricht, beeinflusst natürlich von der Kontaktsprache der jeweiligen neuen Umgebung. So entstand eine einzigartige Sprachmischung bzw. Mischsprache. Heute ist das Judenspanisch vom Aussterben bedroht, schätzungsweise nur noch 25.000 bis 100.000 Menschen sprechen aktiv diese interessante Sprache, eine große sephardische Gemeinde befindet sich z.B. in Paris.





Wir schauen uns eine ganze Weile auf dem Friedhof um, der heute, wenig pietätvoll, offenbar ein Tummelplatz für streunende Hunde ist. Andere Besucher sehen wir nicht, der Friedhof liegt einfach zu weit abseits der Touristenpfade. Die Gräber verteilen sich über einen steilen Hang, die ältesten stammen aus dem 16. Jahrhundert, die letzte Beerdigung fand 1966 statt. Viele Kriege hat dieser historisch so bedeutende Friedhof überlebt, aber der Bosnienkrieg setzte ihm arg zu. Wegen seiner strategisch wichtigen Lage am Belagerungsring um Sarajevo stationierte die Armee der bosnischen Serben hier ihre Artillerie und Heckenschützen, vier Jahre lang wurde von dort die belagerte Stadt beschossen. Mehr als 70 Landminen und 100 nicht entschärfte Artilleriegranaten mussten entfernt werden, bevor man den Friedhof nach dem Krieg wieder gefahrlos betreten konnte….


Der alte jüdische Friedhof von Sarajevo wurde etwa Mitte des 17. Jahrhunderts von sephardischen Juden nach ihrer Vertreibung von der iberischen Halbinsel angelegt.







Während der Belagerung Sarajevos zu Beginn der 90er Jahre verlief über den Friedhof eine Frontlinie. Tagtäglich zielten von hier aus Scharfschützen auf harmlose Bürger.





Viele Grabsteine auf dem alten jüdischen Friedhof sind in Judenspanisch beschriftet.



Nur ein paar Kilometer von dem Friedhof entfernt verläuft übrigens, noch auf dem Stadtgebiet Sarajevos, die Grenze zur „Republika Srpska“, die 1995 im von Bill Clinton erzwungenen Dayton-Abkommen bestätigt wurde. Demnach blieb Bosnien und Herzegowina zwar ein Staat, setzte sich aber fortan aus zwei Landesteilen zusammen: der Republika Srpska mit 49 % und der Föderation von Bosnien und Herzegowina mit 51 % des Territoriums. Eine echte Grenze gibt es also nicht, alle Bewohner dürfen sich frei bewegen, auch stand es den Flüchtlingen und Vertriebenen nach dem Ende des Bosnienkrieges frei, in ihre ursprünglichen Wohnorte zurückzukehren, aber tatsächlich leben die bosnischen Serben heute vorwiegend in der Republika Srpska, die Muslime und Kroaten in der Bosnischen Föderation. Es gibt zwei Verwaltungen, zwei Schulsysteme, zwei Polizeiorganisationen etc. In der Föderation verwendet man lateinische, im serbischen Teil kyrillische Schrift. Die Spaltung des Landes hat also weiter Bestand und die bosnischen Serben drohen regelmäßig mit einem Referendum und der Abspaltung ihres Landesteils…. Der Frieden hat bis jetzt gehalten, aber wie es unter der Oberfläche aussieht, bekommen wir als Touristen natürlich nicht mit.



Nach dem Friedhofsbesuch laufen wir wieder hinunter zur Miljacka und über die Vrbanja-Brücke zurück auf die andere Seite des Flusses zum Stadtteil Marijin Dvor. Hier befinden sich moderne Einkaufszentren, die letztlich austauschbar und deshalb auch nicht besonders interessant sind. Im Sarajevo City Centar essen wir Sushi, mal eine Abwechslung zu Fleischspießen und Ćevapčići. Es ist die größte Shopping Mall in Sarajevo und gehört zur Al-Shiddi-Gruppe, einem saudi-arabischen Investor. Unten befinden sich auf drei Ebenen Geschäfte, darüber Büros und ein Hotel. Schon lange haben die Golfstaaten den Balkan für sich entdeckt. Sie bauen Shopping Malls, Freizeitparks, Villensiedlungen, erwerben Eigentum, kaufen Grundstücke oder kommen als Touristen insbesondere nach Ilidža. Klar, die „Fremden“ bringen Geld ins Land, aber viele Einheimische sehen das mittlerweile mit Skepsis, befürchten den Ausverkauf und die Vereinnahmung ihres Landes durch die reichen Investoren und zu viel Einflussnahme. Auch die größte Moschee des ganzen Balkans, die König-Fahd-Moschee in Sarajevo, wurde von Saudi-Arabien finanziert, nicht ohne Hintergedanken wahrscheinlich.



Im Sarajevo City Centar gibt es auch einen Supermarkt. Wir schauen uns spaßeshalber das Sortiment an, Alkohol gibt es natürlich hier nicht, obwohl es bei den bosnischen Muslimen durchaus üblich ist, Alkoholisches zu konsumieren...



Abends drehen wir ein paar Runden durch die Altstadt. Auch am dritten Tag unseres Aufenthalts macht es uns immer noch Spaß, durch die engen Gassen zu schlendern, wo es überall nach Ćevapčići duftet, und die entspannte Atmosphäre zu genießen…



Am nächsten Tag nieselt es fast den ganzen Tag und ist recht frisch. Unser Gastgeber hatte uns schon gewarnt, dass das Wetter in Sarajevo im Oktober kippen könnte, im Winter wird es hier sehr kalt. Wir frühstücken wie immer in einer Burekdžinica in der Nähe des Sebilj, einem öffentlichen Brunnen auf dem alten Marktplatz im Herzen der Altstadt, ein beliebter Treff- und Orientierungspunkt für Einheimische und Touristen. Drumherum gibt es gemütliche Cafés, Teestuben, Restaurants und eben „unsere“ Burekdžinica, wo es lecker mit Hackfleisch, Spinat, Käse oder Kartoffeln gefüllte Burek gibt, ein ziemlich kalorienreiches, sehr sättigendes Frühstück.



Burek, ein leckeres, aber sehr kalorienreiches Frühstück









Der Sebilj, der Brunnen auf dem alten Marktplatz im Herzen der Altstadt, ist ein beliebter Treff- und Orientierungspunkt für Einheimische und Touristen.







Dito





Anschließend besichtigen wir die alte serbisch-orthodoxe Kirche in der Nähe unserer Unterkunft. Die Geschichte ihrer Entstehung liegt im Dunkeln, erstmals erwähnt wurde sie jedenfalls 1539. Von außen sieht das kleine Gotteshaus eher schlicht aus, doch sein Inneres ist reich geschmückt. Diffuses Licht sorgt für eine feierliche, würdevolle Stimmung, so dass wir uns nur flüsternd unterhalten. Die Kirche beherbergt heute auch ein Museum, in dem Ikonen, Gemälde, Handschriften etc. ausgestellt sind.


In der alten serbisch-orthodoxen Kirche


Unser nächstes Ziel ist die Synagoge der Aschkenasen auf der anderen Seite der Miljacka. Auf dem Wege dorthin kommen wir zufällig am Nationaltheater vorbei, das zur Habsburgerzeit gebaut und mehrfach umgestaltet wurde. Der Platz davor ist Susan Sontag gewidmet, in Erinnerung und zu Ehren der amerikanischen Schriftstellerin und Aktivistin, die sich während der Belagerung mehrfach in Sarajevo aufhielt, um die Eingeschlossenen moralisch zu unterstützen und ein Zeichen gegen Hass und den Wahnsinn des Kriegs zu setzen. 1993 inszenierte sie am hiesigen Nationaltheater das Beckett-Stück „Warten auf Godot“ - unter den schwierigen Bedingungen der Belagerung kein leichtes Unterfangen. Wasser und Strom gab es nur unregelmäßig, das Essen war knapp, auf dem Weg zu den Proben mussten die Darsteller sich vor den serbischen Heckenschützen in Acht nehmen. „Warten auf Godot“ wählte Susan Sontag, weil man auch in Sarajevo auf etwas wartete, das nicht eintraf, das Eingreifen der Europäer und Amerikaner nämlich…. Nicht alle Bosnier allerdings waren von Susan Sontags Aktionen begeistert, einige empfanden das auch als Kriegstourismus.


Das unter den Habsburgern erbaute Nationaltheater von Sarajevo.....







........ am Susan-Sontag-Platz





Dann gehen wir weiter zur Synagoge der Aschkenasen. Gestern standen wir hier vor verschlossener Tür, heute haben wir Glück und dürfen eintreten. Im Foyer sitzen die Leute ungezwungen bei Getränken zusammen und plaudern, im Gebetsraum in der 1. Etage, der eigens für uns aufgeschlossen wird, geht es feierlicher zu. Wir bekommen eine Privatführung mit Informationen zum Judentum in Sarajevo und können uns den wunderschönen, reich dekorierten Raum mit seinen orientalisch anmutenden Fenstern in aller Ruhe anschauen. Die Synagoge wurde ursprünglich nur von den Aschkenasim genutzt. So bezeichnen sich die mittel- und osteuropäischen, vielfach jiddisch sprechenden Juden und ihre Nachfahren, also auch die deutschen Juden. Im heutigen Judentum bilden sie die größte Gruppe, in Sarajevo stellten sie im Vergleich zu den Sepharden allerdings eine Minderheit dar. Sie kamen erst mit den Habsburgern verstärkt in die Stadt und bauten schließlich hier ihre eigene Synagoge, die heute von den Aschkenasim und den noch verbliebenen Sephardim (die meisten von ihnen wurden im 2. Weltkrieg deportiert und getötet oder wanderten aus) gemeinsam genutzt wird.





Gebetsraum in der Synagoge der Aschkenasen.





Die Synagoge der Aschkenasen von außen.







Ein Stück weiter flussaufwärts befindet sich die Kaisermoschee, der wir auch noch einen Besuch abstatten. So viele verschiedene Gotteshäuser auf so kleinem Raum – das gibt es nur in Sarajevo, das ja auch allenthalben gerne als Klein-Jerusalem bezeichnet wird. Dicht nebeneinander findet man eine katholische Kathedrale, eine serbisch-orthodoxe Kirche, mehrere Moscheen und die Synagoge der Aschkenasen, Kirchtürme neben Minaretten, Muslime, orthodoxe Christen, Katholiken, Juden, Bosnier, Serben, Kroaten – der Mix der Religionen und Ethnien, das ist Sarajevo und ist es seit jeher gewesen. Unser Gastgeber sprach voller Stolz über seine multikulturelle, multireligiöse Stadt, für lange Zeit ein Ort der Toleranz, in dem die verschiedenen Glaubensgemeinschaften eng und friedlich zusammenlebten, bis es Identitätsfanatikern gelang, Misstrauen und Hass zu säen und aus Nachbarn Feinde zu machen. 22 Jahre nach dem Ende des Bosnienkriegs scheint sich Sarajevo von alledem erholt zu haben, das ist zumindest unser oberflächlicher Eindruck. Neue „Bekehrer“ lauern aber schon auf ihre Chance, aus den Golfstaaten und der Türkei sind sie hier mit viel Geld unterwegs, um die hohe Arbeitslosigkeit und die geschwächte Wirtschaft eventuell für ihre Zwecke auszunutzen….





Zurück zur Kaisermoschee, der ältesten und zweitwichtigsten Moschee in Sarajevo. Im Vergleich zur Gazi-Husrev-Beg-Moschee in der Altstadt, wo sich stets viele Gläubige und auch Touristen tummeln, ist hier praktisch gar nichts los. Zusammen mit einem jungen Spanier sind wir die einzigen touristischen Besucher. Es ist eine wunderschöne Moschee, die ich merkwürdigerweise ohne Kopftuch betreten darf.





Die Kaisermoschee am linken Ufer der Miljacka







Gleich neben der Moschee befindet sich der Konak, in osmanischer Zeit der Gouverneurssitz, unter den Habsburgern Amtssitz des österreichisch-ungarischen Landeschefs für Bosnien. Hier starb Erzherzog Franz Ferdinand, nachdem er bei dem Attentat am 28. Juni 1914 schwere Verletzungen erlitten hatte, seine Frau Sophie erlag schon im Wagen ihren Verletzungen, beide Toten wurden anschließend im Konak aufgebahrt, der heute für Staatsempfänge genutzt wird.

 Im Konak aufgebahrt: Der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau Sophie, die bei dem Attentat vom 28. Juni 1914 durch Gavrilo Princip ums Leben kamen.







Nur wenige Schritte vom Konak entfernt treffen wir auf die Antoniuskirche, in die wir, schon etwas müde von so vielen Gotteshäusern, nur kurz schauen. Sie liegt im früher katholisch geprägten Stadtteil Bistrik, in dem aber heute nur noch wenige Katholiken leben. Gegenüber der Antoniuskirche befindet sich die unter den Habsburgern gegründete Sarajevoer Brauerei, die die Bevölkerung während der Belagerung aus ihrer Quelle mit Wasser versorgte. Zahlreiche Menschen kamen hier durch Scharfschützen ums Leben, als sie um Wasser anstanden. 





Auf dem Rückweg zu unserer Unterkunft, versuchen wir zum wiederholten Male, in die Gazi-Husrev-Beg-Moschee im Zentrum der Altstadt zu gelangen, eine der ältesten und wohl auch schönsten Moscheen in Bosnien, aber sie ist für uns Ungläubige quasi immer verschlossen. Auch während der offiziellen touristischen Öffnungszeiten werden wir stets abgewiesen und müssen uns damit begnügen, uns den Hof vor dem Haupteingang mit dem großen Brunnen für die rituellen Waschungen vor dem Gebet anzuschauen. Auch die Baščaršija-Moschee am alten Marktplatz in der Nähe des Sebilj-Brunnens können wir uns nicht ansehen – sie wird gerade (ganz uneigennützig natürlich) mit türkischer Unterstützung restauriert. Angeblich soll es in Sarajevo ungefähr 200 Moscheen geben, wenn man auch die ganz kleinen mitzählt - und das bei einer Einwohnerzahl von ca. 300.000!!

Der Reinigungsbrunnen ("Şadırvan") im Moscheehof vor dem Haupteingang der Gazi-Husrev-Beg-Moschee





Weil es immer noch regnerisch ist, fahren wir am Nachmittag mit der Tram zum Nationalmuseum an der Zmaja od Bosne. Der Museumskomplex ist ziemlich groß und umfasst mehrere Abteilungen, von denen eine geschlossen ist. Wir schauen uns die archäologische Abteilung an mit Funden aus der langen Geschichte des Landes. Leider sind die Erklärungen sehr dürftig und so sagen uns die Exponate nur wenig, man bräuchte hier eine Führung oder zumindest einen Audioguide. Auch die ethnologische Abteilung sehen wir uns an. In mehreren, sehr schön gestalteten Ausstellungsräumen sind hier z.B. Situationen aus dem muslimischen Alltag nachgestellt. In den naturkundlichen Trakt schauen wir nur kurz und den Botanischen Garten lassen wir ganz weg, weil es immer noch regnet und er irgendwie trist und ungepflegt wirkt.





Unmittelbar neben dem Nationalmuseum und gegenüber der schwer bewachten US-Botschaft liegt das Historische Museum von Bosnien und Herzegowina. Es wurde nach dem Zweiten Weltkrieg als „Revolutionsmuseum“ gegründet und zeigte mit vielen Exponaten die lange Geschichte des Landes, seine Entwicklung unter türkischer, später österreichisch-ungarischer Herrschaft und zur Zeit Jugoslawiens bis zur Unabhängigkeit 1992. Wie das Nationalmuseum befindet sich auch das Historische Museum an der Zmaja od Bosne, der Hauptverkehrsachse Sarajevos, die während der Belagerung der Stadt zu Beginn der 90er Jahre direkt an der Frontlinie lag und als „Sniper Alley“ zweifelhaften Ruhm erlangte. Damals wurde das Historische Museum sehr stark beschädigt. Jetzt, 22 Jahre nach dem Ende des Bosnienkrieges, befindet es sich immer noch in einem desolaten Zustand. Vor allem der Außenbereich zeigt noch deutliche Spuren des Krieges, Treppen sind kaputt, Platten hängen von den Wänden, das gesamte Äußere wirkt total ungepflegt. Das Museum selber ist fast leer, obwohl die meisten Exponate seinerzeit gerettet werden konnten, zu sehen gibt es nur eine kleine Dauerausstellung zum belagerten Sarajevo. Sie zeigt Gegenstände aus dem Kriegsalltag der Belagerung, Überlebensstrategien der Einwohner von Sarajevo, Waffen und Ausrüstung der Kämpfer etc. Die Ausstellung ist zwar sehr interessant, trotzdem hatten wir uns von einem Historischen Museum mehr erwartet: Dass es die Entwicklung des Landes von den Anfängen bis zur Gegenwart präsentiert, also nationales Erbe bewahrt und damit auch Identität stiftet. Was wir hier zu sehen bekommen, ist aber eher ein Trauerspiel. Erst später erfahren wir, dass die Finanzierung der Museen in der Verantwortung der beiden Landesteile, der Föderation Bosnien und Herzegowina und der Repulika Srpska liegt, die sich auch so lange Zeit nach dem Ende des Krieges noch nicht auf eine endgültige Regelung zur Finanzierung einigen konnten. So waren z.B. das Nationalmuseum und auch das Historische Museum ab 2012 für mehrere Jahre geschlossen, weil keine Gelder mehr für die Unterhaltung und die Löhne der Angestellten vorhanden waren…. Dem Nationalmuseum, das auf eine über 100jährige Geschichte zurückblickt, drohte gar das Aus. 





Vordergründig, so lese ich später in einem Artikel nach, gehe es um die Finanzierung der Museen, tatsächlich aber um Politik. Ein Museum, das den Gesamtstaat repräsentiere, ob nun Nationalmuseum oder Historisches Museum, sei gar nicht gewollt. Wenn sich im Zustand der Museen die Verfassung des gesamten Landes spiegelt, dann scheint es hier unter der Oberfläche noch gewaltig zu brodeln….





Auch der nächste Morgen beginnt regnerisch, das Wetter beruhigt sich aber im Laufe des Tages und für den Rest unseres Aufenthalts haben wir dann wieder richtig gutes, sonniges und warmes Wetter. Unser heutiges Kulturprogramm beginnen wir mit der Besichtigung des Alten Rathauses am Rande der Altstadt. Es wurde zwischen 1892 und 1894 unter den Habsburgern im pseudo-maurischen Stil errichtet und gehört sicher zu den prächtigsten und bekanntesten Gebäuden in Sarajevo. Während der Habsburger-Zeit war hier der Sitz der Stadtverwaltung, am 28. Juni 1914 nahm Erzherzog Franz Ferdinand in dem Gebäude zusammen mit seiner Gattin an einem Empfang anlässlich seines Sarajevo-Besuchs teil. Danach stiegen sie wieder in ihren Wagen und fuhren mit offenem Verdeck ihrem Mörder Gavrilo Princip entgegen…



Das Rathaus zur Habsburgerzeit




 
28.Juni 1914: Nach dem Empfang verlassen Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gattin Sophie das Rathaus - es sind ihre letzten Schritte, bevor Gavrilo Princip kurze Zeit später ihrem Leben ein Ende setzt.







Nach dem Zweiten Weltkrieg beherbergte das Rathaus lange Zeit die National- und Universitätsbibliothek, aber schon zu Beginn der Belagerung von Sarajevo ging es im August 1992 unter dem Beschuss der bosnischen Serben in Flammen auf, nachdem Brandgeschosse ins Dach eingeschlagen waren. Mehr als 2 Millionen Bücher, nahezu der gesamte Bestand, darunter wertvolle, jahrhundertealte Dokumente und Schriften, wurden vernichtet, nachdem auch die Feuerwehr durch permanenten Beschuss am Löschen gehindert worden war. Von dem prachtvollen Bau blieben nur noch Trümmer übrig. Die Zerstörung der Bibliothek war kein Kollateralschaden als Folge des Dauerbeschusses von Sarajevo, sondern geschah mit voller Absicht. Das Gebäude beherbergte das Kulturgut aller in der jugoslawischen Teilrepublik Bosnien-Herzegowina zusammenlebenden Ethnien. Die Vernichtung der Bücher stellte deshalb auch einen Angriff auf das gemeinsame Kulturerbe und die gemeinsame Identität dar. Denn das war das eigentliche Ziel der serbischen Kriegsführer: die verbindenden Fäden für immer zu zerreißen, Muslime und Kroaten aus Sarajevo zu vertreiben und die Zeugnisse ihrer Kultur auszulöschen. Zwar gingen die Bücher unwiederbringlich verloren, aber die Muslime und Kroaten sind immer noch da und das Rathaus erstrahlt seit seiner Wiedereröffnung 2014 in neuem Glanz. Der Wiederaufbau dauerte lange und wurde vor allem mit Geldern der EU finanziert. Heute sind in dem Gebäude Teile der Stadtverwaltung untergebracht, außerdem die Nationalbibliothek und eine Ausstellung zur Geschichte des Hauses.

 August 1992: Das Rathaus, das damals die Nationalbibliothek beherbergte, gerät nach heftigem Beschuss durch bosnische Serben in Brand - fast der gesamte Bestand an zum Teil sehr wertvollen Büchern fällt den Flammen zum Opfer.




Der bosnische Musiker Vedran Smajlović spielte 1992 in der zerstörten Nationalbibilothek Albinonis berühmtes melancholisches Adagio in G-Moll und erhob damit auf sehr ergreifende Weise Anklage gegen Krieg und Zerstörung.




Nach langwierigen Restaurationsarbeiten konnte das Rathaus 2014 wiedereröffnet werden und erstrahlt heute in altem Glanz.





Wir betreten das Rathaus durch die prächtige Eingangshalle, Besucher können sich frei bewegen, einzelne Räume kann man nur begrenzt anschauen. Im Untergeschoss befindet sich die sehr interessante Ausstellung zur Geschichte des Rathauses von der Planung bis zur Zerstörung und zum Wiederaufbau, mit vielen Informationen auch zum Attentat von 1914. Wir bleiben lange und schauen uns ausführlich um. Viele Besucher sind nicht da, aber es ist ja auch Nebensaison.



Die prächtige Eingangshalle des Rathauses



Unser nächstes Ziel ist der Brusa Bezistan, am unteren Ende des Marktplatzes mitten in der Altstadt gelegen und in osmanischer Zeit als Warenhaus erbaut. Ausschließlich Seide, Baumwolle und Leinen wurden hier umgeschlagen, hergestellt in der türkischen Stadt Brusa. Heute beherbergt der Bezistan ein Museum zur Entwicklung Sarajevos von der Urgeschichte bis zum Ersten Weltkrieg. Auf relativ kleinem Raum, der Bezistan hat eine Abmessung von nur knapp 30 x 20,5 m, wird hier ziemlich viel Geschichte präsentiert. Zu sehen sind Werkzeuge, Münzen, Gefäße, Schmuckstücke, typische Kleidung aus osmanischer Zeit etc. Das Prunkstück der Sammlung aber ist eine Miniaturnachbildung der Baščaršija, wie sie bis zur Zeit der habsburgischen Machtübernahme aussah. Es gibt auch eine Sonderausstellung mit verstörenden Fotos zum Massaker von Srebrenica.





Auf dem alten Marktplatz von Sarajevo: Das Gebäude mit den grünen Kuppeln rechts hinten im Bild ist der Brusa bezistan.



Miniaturnachbildung der Baščaršija vor der Habsburgerzeit in der Bruza Besistan




Am Nachmittag gehen wir zur serbisch-orthodoxen Kirche an einem Platz etwas abseits der Ferhadija. Sie wurde 1869 als dreischiffige Basilika erbaut und hat einen großen, sehr schönen, mit Ikonen ausgestatteten Innenraum. Ich mag orthodoxe Kirchen wegen ihrer besonderen Atmosphäre; der Duft nach Weihrauch, die brennenden Kerzen und die Ausstattung mit Ikonen tragen sicher dazu bei. Wir bleiben eine ganze Weile und schauen uns um. Als wir die Kirche betreten, sind wir fast die einzigen Besucher, dann kommt eine Gruppe von festlich gekleideten Gläubigen, wohl wegen einer besonderen Zeremonie.





Die große serbisch-orthodoxe Kirche an der Ferhadija







Dito







Die große serbisch-orthodoxe Kirche von außen





Wieder werden wir an der Gazi-Husrev-Beg-Moschee abgewiesen, obwohl sie am Nachmittag für Touristen eigentlich geöffnet sein müsste. Das ist ärgerlich, weil es eine der ältesten Moscheen des Landes und eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten in der Altstadt ist. Immerhin können wir die Kuršumlija medresa besichtigen, die 1537 errichtete islamische Hochschule gegenüber der Moschee. Heute dient sie nicht mehr ihrer ursprünglichen Bestimmung, sondern wird nur noch für Veranstaltungen, Ausstellungen etc. genutzt. Man betritt die Medresse über einen Innenhof mit Brunnen und einer Arkadenhalle, die von 10 Kuppeln überdacht ist. Dann gelangt man zu den früheren Studienräumen, in denen heute Ausstellungen untergebracht sind. Ohne Erklärung kann man allerdings nicht viel damit anfangen. Trotzdem lohnt der Besuch der Medresse, es ist eine sehr schöne Anlage.





Am nächsten Morgen fahren wir mit der Tram zum Bahnhof, um uns Fahrkarten nach Konjic zu besorgen. In der Nähe dieses kleinen Ortes liegt Titos Atombunker, den wir uns anschauen möchten. Bahnfahren ist in Bosnien nicht sehr verbreitet, das gesamte Schienennetz umfasst lediglich ca. 1000 Kilometer, entsprechend unbelebt wirkt der Hauptbahnhof von Sarajevo. Unmittelbar neben dem Bahnhof befindet sich der Avaz Twist Tower, ein Bürohochhaus mit vielen Stockwerken, bekannt vor allem wegen seiner markanten verdrehten Glasfassade. Es ist das höchste Gebäude in Bosnien und Hauptsitz des bosnischen Zeitungsverlags „Avaz“. In den obersten Etagen befinden sich ein Restaurant, ein Café und eine Aussichtsterrasse mit einem tollen Rundumblick auf Sarajevo. Der Aufzug bringt uns in Sekundenschnelle ins oberste Stockwerk, die Aussicht ist wirklich umwerfend, leider ist es heute etwas dunstig, auch steht die Sonne nicht optimal zum Schauen und Fotografieren, da wäre der Nachmittag die bessere Tageszeit. Wir genießen den sensationellen Panoramablick von der Aussichtsplattform und im Café darunter, wo sich schon einige Gäste für ein exklusives Sonntagsfrühstück eingefunden haben.



Blick vom Avaz Twist Tower: Rechts vorne im Bild der Hauptbahnhof, 
in der Mitte die schwer bewachte amerikanische Botschaft.






Dann laufen wir zu Fuß zum Stadtteil Koševo, der einerseits bekannt ist wegen des Olympiastadions und des Olympischen Museums (das wir leider verpassen), andererseits wegen seiner vielen Friedhöfe. Auf einem von ihnen, dem orthodoxen Markus-Friedhof, ist der Serbe Gavrilo Princip, der Attentäter vom 28. Juni 1914, zusammen mit anderen Verschwörern in einem Ehren-Mausoleum beigesetzt. Es braucht eine Weile, bis wir auf dem richtigen Friedhof sind, letzten Endes können wir ihn nur finden, weil wir mehreren Leuten ein Handy-Foto von der Princip-Kapelle zeigen. 



Gavrilo Princip war nicht immer in Sarajevo bestattet. Nach dem Attentat wurde er sofort verhaftet und in einem Prozess des Meuchelmordes für schuldig befunden. Der Todesstrafe entging er nur, weil er zum Tatzeitpunkt mit seinen erst 19 Jahren noch minderjährig war. Stattdessen verurteilte man ihn zu 20 Jahren schwerem Kerker. Er kam nach Theresienstadt (Tschechien) in eine kalte, feuchte Zelle, wo er in Dunkel- und Einzelhaft gehalten wurde. Die unmenschlichen Haftbedingungen waren ein Todesurteil auf Raten. Princips ohnehin schlechter Gesundheitszustand verschlimmerte sich, mehrfach versuchte er sich umzubringen. Wegen einer Tuberkuloseerkrankung brachte man ihn schließlich ins Gefängnislazarett von Theresienstadt, wo er 1918 im Alter von nur 23 Jahren jämmerlich starb. Sein Leichnam wurde anonym in einer Grube verscharrt, aber František Löbl, einer der daran beteiligten Soldaten, merkte sich die Stelle und machte sogar eine Skizze davon. So konnte die Grabstelle nach dem Krieg lokalisiert werden. 1920 wurden die Gebeine von Princip exhumiert und schließlich mit denen anderer toter Verschwörer auf dem Markus-Friedhof in Sarajevo beigesetzt. 



Während seines Prozesses hatte Princip angegeben, dass er seine Tat nicht bereue, im Gegenteil. Nicht er sei der Verbrecher, sondern der zu Recht getötete Tyrann Franz Ferdinand. Dass auch dessen Gattin Sophie ums Leben kam, bereute er allerdings. Als sein Ziel gab Princip die Befreiung von der Habsburgerherrschaft an, das Attentat betrachtete er als Teil des Kampfes für ein freies, geeintes Serbien. So ist es eigentlich kein Wunder, dass Princip von den Serben seither als Held verklärt wurde, schon nach dem Ersten Weltkrieg im Königreich Jugoslawien und erst recht nach dem Zweiten Weltkrieg im sozialistischen Jugoslawien. An der Stelle, wo er am Tag des Attentats mutmaßlich gestanden hatte, wurden zwei Fußabdrücke in den Bürgersteig eingelassen, die Lateinerbrücke erhielt seinen Namen. Außerdem richtete man ein „Museum des Attentats“ ein, in dem Princip verherrlicht wurde. An der Außenwand des Museums brachte man eine Gedenktafel zu Ehren des Attentäters an, die 1941 auf persönlichen Wunsch Hitlers entfernt wurde, der sie sozusagen als Kriegssouvenir und späte Wiedergutmachung für die Niederlage im 1. Weltkrieg zu seinem 52. Geburtstag überreicht haben wollte, was auch geschah. Das Foto dazu galt lange als verschollen und wurde erst 2013 sensationell wiederentdeckt….




 Die deutsche Wehrmacht war am 15. April 1941 nach Sarajevo einmarschiert. 
Hier salutuieren deutsche Soldaten vor dem Rathaus.




An der Ecke zur Lateinerbrücke wird im gerade besetzten Sarajevo 

die steinerne Gedenktafel abmontiert, die Gavrilo Princip gewidmet war. 

Adolf Hitler hatte sie sich als Kriegssouvenir zum Geburtstag gewünscht.





Am 20. April 1941 wurde Hitler die Gedenktafel zum 52. Geburtstag überreicht.




Über 100 Jahre nach den tödlichen Schüssen auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand ist man in Serbien und Bosnien, was das Gedenken an den Attentäter von Sarajevo betrifft, immer noch geteilter Meinung. Viele Serben, auch die bosnischen, betrachten Princip nach wie vor als Helden. In der vor allem von bosnischen Serben bewohnten Republika Srpska sind z.B. mehrere Straßen nach Princip benannt und anlässlich des 100. Jahrestags des Attentats 2014 wurde in Ost-Sarajevo, also ebenfalls auf dem Gebiet der Republika Srpska, eine Statue von Princip enthüllt. Auch in Serbien hat man Gavrilo Princip nicht vergessen, in Belgrad präsentierte der damalige serbische Präsident Nikolic am 28. Juni 2015, dem 101. Jahrestag des Attentats, Hunderten jubelnder Zuschauer ebenfalls eine Princip-Statue…

Die meisten Bosniaken und Kroaten dagegen distanzieren sich von dieser Verklärung. Sie sehen Princip eher als Mörder und Terroristen. Die Lateinerbrücke erhielt nach der Unabhängigkeitserklärung Bosnien und Herzegowinas 1992 wieder ihren alten Namen zurück, und das heutige Attentatsmuseum zelebriert eher die österreichisch-ungarische Periode, einen Heldenkult um Princip wie zu Zeiten des sozialistischen Jugoslawien pflegt man hier nicht. Man versucht vielmehr touristisches Kapital aus dem Attentat zu schlagen, was auch gelungen ist. Alle Touristen pilgern zum Ort des tödlichen Anschlags an der Straßenecke neben der Lateinerbrücke.




Gavrilo Princip - von nationalistischen Serben als Held und Freiheitskämpfer verehrt, für die meisten Bosnier dagegen ein Mörder und Terrorist. 

Weil er zum Tatzeitpunkt noch minderjährig war, entging der Attentäter 

zwar der Todesstrafe, starb aber schon 1918 im Alter von erst 23 Jahren jämmerlich in der Haft. Immerhin hat er gute Chancen auf ein ewiges Weiterleben in der Weltgeschichte....







Das Ehren-Mausoleum für Gavrilo Princip und seine Mitverschwörer 
auf dem Markus-Friedhof in Sarajevo




 Die Inschrift am Ehrenmal für Gavrilo Princip und seine Mitverschwörer 
feiert die "Helden des Vidovdan"




An der Kapelle für Gavrilo Princip und seine Mitverschwörer auf dem Markus-Friedhof, der übrigens im muslimischen Teil Sarajevos liegt, stehen wir dagegen als einzige Besucher. Die Gedenkinschrift feiert die „Helden des Vidovdan“, des Veitstages, denn der 28. Juni 1914 war der 525. Jahrestag der Schlacht auf dem Amselfeld, bei der im Kosovo ein serbisches Heer gegen ein osmanisches verloren hatte. Beide gegnerischen Heerführer kamen dabei ums Leben. Diese Schlacht, die zufällig auf den Gedenktag des Heiligen Veit gefallen war, wurde im Nachhinein von den Serben als Symbol der Aufopferung für die christlichen Werte glorifiziert und ging als heroischer Kampf gegen die osmanische Fremdherrschaft in die serbische Geschichte und Mythologie ein. Princip hatte sich z. B. darauf berufen, indem er angab, er habe mit seiner Tat dazu beitragen wollen, die habsburgische Fremdherrschaft zu beseitigen und so die über 500 Jahre zuvor verlorene Freiheit zurückzugewinnen. Der bosnisch-serbische General Mladić berief sich ebenfalls auf Amselfeld, er sagte im Juli 1995 vor dem Beginn des Massakers von Srebrenica, es sei die Zeit gekommen „an den Türken Rache zu nehmen“, Radovan Karadžić, der politische Führer der bosnischen Serben, machte aus seiner Abneigung gegen Muslime und „Türken“ ebenso keinen Hehl. Warum der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand ausgerechnet am Veits-Tag nach Sarajevo kam, ist ungeklärt. Eigentlich hätte klar sein müssen, dass der Besuch des Habsburgerpaars an diesem für die Serben so populären religiösen und nationalen Feiertag bei serbischen Nationalisten als Provokation empfunden werden könnte….





Auch Slobodan Milošević hatte übrigens 1989 in seiner als Amselfeld-Rede bekannt gewordenen Ansprache anlässlich der Gedächtnisfeier zum 600. Jahrestag der Schlacht Bezug auf den Mythos genommen. Vielfach wurde diese Rede als Ausdruck von Miloševićs militant nationalistischer Gesinnung und als Vorbote der Jugoslawienkriege zu Beginn der 90er Jahre gesehen, was allerdings umstritten ist. Unumstritten ist allerdings, dass Milošević am 28.6.2001, also ebenfalls am Veitstag, dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag überstellt wurde, und zwar auf Betreiben seines Nachfolgers im Präsidentenamt, Zoran Đinđić, der 2003 von einem Scharfschützen aus dem Dunstkreis ehemaliger Milošević-Getreuer ermordet wurde…...



Nach dem Friedhofsbesuch laufen wir den langen Weg zum Zentrum zurück. Am Nachmittag schauen wir uns die Ferhadija-Moschee im habsburgischen Teil der Fußgängerzone an. Es ist eine kleine, aber ausgesprochen schöne Moschee in klassischer Bauweise, während des Bosnienkriegs teilweise beschädigt, aber mittlerweile wieder komplett restauriert. Wir sind die einzigen Besucher und bekommen eine exklusive Führung von einem netten älteren Herrn. Geld will er nicht dafür, er freut sich einfach über unser Interesse an „seiner“ Moschee. Noch nie haben wir uns in einer Stadt so viele Gotteshäuser und Museen angesehen, aber jeder einzelne Besuch hat sich gelohnt.



Am nächsten Vormittag nehmen wir den Zug nach Konjic. Bei bestem sonnigen Wetter fahren wir los, kurze Zeit später finden wir uns in dichtem Nebel wieder, der sich erst spät lichtet. So bekommen wir nur einen kleinen Eindruck von der großartigen Gebirgslandschaft, durch die wir fahren. Meist verläuft die Bahnstrecke weit oben am Hang, wir schauen in tiefe, enge Schluchten und auf schroffe, teilweise mit Neuschnee bedeckte Berge, wir sehen kleine Orte, mit Nebel gefüllte Täler, schmale Straßen, die sich in Serpentinen die Berge hochschlängeln. Radfahren ist hier sicher kein Zuckerschlecken….. Erst später erfahren wir, dass die Strecke Sarajevo – Konjic bzw. Mostar wegen ihrer spektakulären Führung zu den schönsten in Südosteuropa gehört.



Konjic liegt ca. 40 km von Sarajevo entfernt und dürfte im Sommer als beliebter Ausgangspunkt für Rafting- und Kajaktouren auf dem Fluss Neretva ein geschäftiger Ort sein. Jetzt wirkt der kleine, von Bergen umgebene Ort eher verschlafen. Noch haben wir keine Idee, wie wir von hier zu Titos Bunker gelangen sollen, eine Touristeninformation können wir nicht entdecken, zwei Reiseagenturen haben noch geschlossen. Also schauen wir uns erst einmal um. Als Ort hat Konjic nicht viel zu bieten außer der Stari most, der sogenannten alten Brücke über den Fluss Neretva, die ursprünglich auf osmanische Zeit zurückgeht, aber 1945 von den Deutschen zerstört wurde. Finanzhilfen aus der Türkei machten es möglich, sie komplett zu restaurieren, so dass sie jetzt wieder ein echter Blickfang ist, original sind aber nur noch die Pfeiler.







Die Stari most in Konjic wurde 1945 von den Deutschen zerstört, 
original sind heute nur noch die Pfeiler.



Auf unserem Stadtspaziergang entdecken wir auch ein kleines, liebevoll eingerichtetes Heimatmuseum, wo wir von einem sehr netten jungen Mann eine exklusive Führung nur für uns bekommen und außerdem die Empfehlung für eine Reiseagentur. Dort organisiert eine nette junge Dame schließlich ein Taxi für uns zum nur wenige Kilometer entfernten Bunker, der als Sicherheitsbereich gilt und nur im Rahmen einer Führung betreten werden darf. Mit uns im Auto sitzt noch eine Norwegerin mit ihrem Sohn, die die Tour in Sarajevo gebucht hat, fünf weitere Touristen stoßen noch von einem anderen Organisator dazu. Zur Hauptsaison sind die Gruppen wesentlich größer und dann natürlich längst nicht so attraktiv und intensiv. Der Bunker gehörte zu den bestgehüteten Geheimnissen Jugoslawiens, die Tarnung ist noch heute perfekt. Selbst wenn man davorsteht, kann man den Eingang nicht erahnen. Er verbirgt sich in einer Hütte, die als unscheinbares Wohnhaus getarnt ist. Das rund 6500 Quadratmeter große Bunkerreich, errichtet zwischen 1953 und 1976, sollte bei einem Atomschlag als Hauptquartier für die Staats- und Armeeführung Jugoslawiens dienen, 350 Menschen hätten hier ein halbes Jahr ausharren können. Dazu kam es nicht, Tito selber ist nie hier gewesen, auch nicht zur Einweihung.





Eine junge Frau führt uns sehr engagiert durch das Bunkerlabyrinth, das in einen Berg hinter dem Tarnhaus gegraben wurde, allerdings ist nur ein kleiner Teil der über 100 Räume für die Öffentlichkeit zugänglich, aber wir bekommen einen guten Eindruck. Wir erfahren, wie die Wasser- und Luftzufuhr funktionierte, sehen Arbeitsräume, Kontrollräume, einen Konferenzraum mit dem Schreibtisch von Tito und ganz am Ende des Bunkersystems die vergleichsweise luxuriösen Privatgemächer für das Ehepaar Tito, als einzige zweigeschossig. 2011 wurde der Bunker zum Kunstobjekt, als hier die erste Biennale in Bosnien und Herzegowina seit dem Bosnienkrieg eröffnete, im Moment findet hier auch eine Biennale statt, die noch bis zum 21. Oktober 2017 dauert. Zu sehen sind verschiedene Kunstobjekte und Videoinstallationen, die wir uns allerdings nur flüchtig anschauen können.





Im Tito-Bunker







Dito








Dito



Dito





Objekte der Biennale im Tito-Bunker


Nach 1 ½ interessanten Stunden im Bunker bringt uns das Taxi wieder zurück nach Konjic, wo wir am Abend in die Bahn nach Sarajevo steigen. Am nächsten Morgen reisen wir sehr früh nach Mostar, in einem supermodernen Zug, der sogar mit Wlan ausgestattet ist. Wie gestern fahren wir zu Beginn durch dichten Nebel, während der Zug allmählich an Höhe gewinnt und Richtung Ivan-Pass klettert. Hinter dem langen Ivan-Tunnel beginnt der Abstieg nach Konjic. Wir passieren etliche Viadukte und weitere Tunnel, der Zug scheint sich geradezu an die Berghänge zu klammern. Der Nebel lichtet sich heute schneller, aber die spektakulären Blicke auf die grandiose Gebirgslandschaft und die Kühnheit der Streckenführung lassen sich leider fotografisch nicht festhalten. Konjic liegt mit 268 m schon deutlich niedriger als Sarajevo. Ab hier folgt die Strecke dem Tal der türkisfarbenen Neretva, die bald einen schmalen Canyon mit steil aufragenden Felswänden bildet, ebenfalls ein beeindruckendes Landschaftserlebnis. Gegen Ende der Fahrt weitet sich das Tal und schließlich erreichen wir Mostar, das nur noch auf 60 m Höhe über dem Meeresspiegel liegt, was sich auch an der Temperatur bemerkbar macht: Hier ist es deutlich wärmer als in Sarajevo, fast noch sommerlich. Mostar hat ein mediterranes, subtropisches Klima und gehört aufgrund seiner Kessellage zwischen zwei Bergmassiven zu den heißesten Orten in Europa, während der Sommermonate oft mit Werten über 40 Grad. Jetzt im Oktober dagegen finden wir es hier sehr angenehm.



Wir laufen den kurzen Weg vom Bahnhof ins Zentrum, die Neustadt ist austauschbar, die kleine Altstadt mit ihren engen, kopfsteingepflasterten Gassen dagegen sensationell. Wie alle Touristen zieht es auch uns zuerst zur Stari most, dem berühmten Wahrzeichen von Mostar, benannt nach dem serbisch-kroatisch-bosnischen Wort für Brückenwächter. Die kurze, stark gebogene Brücke hat im Scheitel einen Knick und überspannt spektakulär die Neretva. Ihr Erbauer folgte einem neuen Konzept des Brückenbaus und schuf so im 16. Jahrhundert ein wahres Meisterwerk der Ingenieurkunst, das 1993 während des Bosnienkriegs durch massiven Beschuss von kroatischer Seite gezielt zerstört wurde. Erst 2004 konnte die Brücke nach langen Rekonstruktionsarbeiten wiedereröffnet werden und ist seitdem ein echter Touristenmagnet. Selbst jetzt in der Nebensaison drängen sich auf der Stari most und in der gesamten Altstadt die Besucher, darunter wie auch in Sarajevo sehr viele Asiaten. Aber während die Baščaršija in Sarajevo noch sehr authentisch wirkt, scheint die Altstadt von Mostar nur noch ein Ort für Touristen zu sein, die nicht nur die Einheimischen, sondern auch die Landeswährung verdrängt haben, denn hier sind praktisch alle Preise in Euro ausgezeichnet. Wir vermuten, dass viele Besucher, vor allem die Kreuzfahrttouristen und Gruppenreisenden, lediglich für einen Tagesausflug nach Mostar kommen und deshalb gar kein Geld tauschen. Am Abend ist die Altstadt jedenfalls fast menschenleer. Wir gehen auch zur etwas abseits gelegenen, ebenfalls sehr fotogenen Kriva Ćuprija, der „krummen Brücke“, die wie eine Miniaturausgabe der Stari most aussieht. Einer Legende zufolge soll der osmanische Architekt der Stari most sie sozusagen als „Testbrücke“ für die spätere große Variante erbaut haben...


Der Fluss Neretva teilt Mostar in zwei Hälften: 
Rechts liegt der überwiegend von muslimischen Bosniaken bewohnte Ostteil, links der kroatisch-katholische Westteil.







Die berühmte Brücke von Mostar......





....... fotografieren wir aus immer wieder anderen Blickwinkeln.










Von dem großen Kreuz rechts oben im Bild zielten im Bosnienkrieg Scharfschützen auf Zivilisten.







Blick von der Stari most auf den östlichen, 
vorwiegend muslimischen Ortsteil von Mostar







Die Brücke, die nicht verbindet, sondern trennt..








Die Kriva Ćuprija, die "krumme Brücke", 
wurde angeblich als Testbrücke für die Stari most erbaut.





Am frühen Nachmittag können wir in unserer Airbnb-Unterkunft einchecken. Wieder haben wir eine gute Wahl getroffen, unser Zimmer liegt sehr zentral nur ein paar Schritte von der Altstadt entfernt und mit Blick auf die Stari most. Den Rest des Tages verbringen wir damit, durch die Altstadt zu streifen und die Brücke aus allen möglichen Blickwinkeln zu fotografieren. Wir beobachten auch Brückenspringer, die hoch oben am Geländer der Stari most stehen und auf ihren Einsatz warten. Brückenspringen hat in Mostar eine lange Tradition, die angeblich bis in die Zeit der Erbauung zurückgeht. Jedes Jahr werden Sprungwettbewerbe abgehalten, die auch schon mal mit Knochenbrüchen oder sogar mit dem Tod enden…. Die mutigen Männer, die wir heute sehen, springen nur gegen Bezahlung durch Touristen 25 m tief in die Neretva, sie verdienen damit zumindest einen Teil ihres Lebensunterhalts, was einiges über die wirtschaftliche Situation im Land aussagt. Offenbar kommt nicht genug Geld zusammen, es ist ja auch Nebensaison, jedenfalls verlassen die Wagemutigen das Geländer später, ohne gesprungen zu sein. Am Abend spazieren wir noch einmal durch die Altstadt und machen Fotos im Dämmerlicht, viele Touristen sind jetzt nicht mehr unterwegs. Abends auf dem Zimmer recherchiere ich über die Geschichte von Mostar und der Brücke.





 Brückenspringer warten auf der alten Brücke von Mostar auf ihren Einsatz.







Abendstimmung über Mostar









Die Stari most ist zusammen mit ihrer historischen Umgebung seit 2005 als UNESCO-Weltkulturerbe gelistet, und das nicht nur wegen ihrer einmaligen Architektur. Gewürdigt wurde die Brücke auch als „Symbol der Versöhnung…“ und „(als Symbol) für das Zusammenleben von verschiedenen religiösen, kulturellen und ethnischen Gemeinden“. Die Realität sieht aber offenbar ganz anders aus. Tatsächlich galt die Stari Most jahrhundertelang nicht nur als reale, sondern auch als symbolische Brücke zwischen Ost und West. Sie verband das osmanische Reich mit Westeuropa, die islamische Welt und das Christentum und innerhalb des Christentums die orthodoxen Serben und die katholischen Kroaten, sie hielt die Stadt zusammen, bis kroatische Granaten sie nach wiederholten Angriffen im November 1993 endgültig zerstörten. Mostar war während des Bosnienkrieges in mehrerer Hinsicht zwischen den Fronten zerrieben worden. 1992/93 kam es zu Kämpfen zwischen kroatisch-bosniakischen und serbischen Einheiten, 1993/94 zwischen Kroaten und Bosniaken. Dabei wurde die Stadt durch Vertreibungen in einen bosniakisch-östlichen und einen kroatisch-westlichen Teil gespalten. Diese Trennung hat bis in die Gegenwart Bestand. Mostar besteht eigentlich aus zwei Städten mit eigenen Verwaltungen. Östlich der Brücke leben heute vorwiegend muslimische Bosniaken, westlich der Brücke katholische Kroaten. Mostar war früher die Stadt mit den meisten interreligiösen Ehen im ehemaligen Jugoslawien. Heute dagegen werden Menschen in Mischehen zur Wahl gezwungen, ob sie ihre Kinder als Bosniaken oder Kroaten zur Schule schicken, weil es gemischte Schulen nicht gibt und sie offenbar auch nicht gewollt sind. Wo einst Muslime, Serben und Kroaten friedlich zusammenlebten, steht so heute nicht das Verbindende, sondern eher das Trennende im Vordergrund, sehr schade, aber wohl doch beispielhaft für ganz Bosnien und Herzegowina.









Am nächsten Morgen fahren wir mit dem Bus nach Sarajevo zurück. Der Zug wäre zwar spannender gewesen, aber es gibt nur zwei Bahnverbindungen pro Tag, eine sehr früh morgens, die andere am späten Nachmittag. Busse dagegen verkehren mehrfach täglich. Die Busstrecke ist landschaftlich auch sehr beeindruckend, wenn auch nicht ganz so spektakulär geführt wie die Bahnfahrt. Schon am frühen Nachmittag erreichen wir Sarajevo und so bleibt uns noch viel Zeit für unseren letzten Tag in dieser spannenden Stadt. Auf dem Weg vom Busbahnhof ins Zentrum werfen wir einen Blick ins geschichtsträchtige Hotel Holiday Inn, das anlässlich der Olympischen Winterspiele 1984 entstand. Seinerzeit residierte hier die Olympiaelite, im Bosnienkrieg zu Beginn der 90er Jahre diente das Hotel Reportern aus aller Welt als Quartier, von hier aus berichteten sie über die bosnische Tragödie und die Belagerung Sarajevos, während „draußen“ die Stadt brannte, Geschosse einschlugen und die Menschen vor den Scharfschützen flüchteten. Wer das Holiday Inn verließ, musste um sein Leben fürchten, denn das Hotel befindet sich an der Zmaja od Bosne, damals die berüchtigte Sniper Alley, die unter Dauerbeschuss der bosnischen Serben lag…. Das Hotel wurde mittlerweile aufwendig modernisiert, wir schauen uns um und trinken einen Kaffee.

Das berühmte Hotel Holiday Inn: Während der Olympischen Winterspiele 1984 
residierte hier das IOC, während der Belagerung von Sarajevo zu Beginn 
der 90er Jahre diente es Kriegsreportern aus aller Welt als Quartier.



An unserem allerletzten Sarajevo-Tag schaffen wir es auch endlich, die Gazi-Husrev-Beg-Moschee zu betreten, das wichtigste Gotteshaus und die wichtigste Sehenswürdigkeit in der Altstadt. Davor waren wir auch zu den offiziellen touristischen Öffnungszeiten am Haupteingang stets abgewiesen worden. Wie sich jetzt herausstellt, dürfen Ungläubige die Moschee nur durch einen versteckten Seiteneingang betreten, der noch dazu offenbar von den Aufpassern vor dem Haupteingang mit Absicht geheim gehalten wird…. Kein Wunder also, dass zusammen mit uns nur zwei weitere Touristen den Zugang entdeckt haben und eingelassen werden. Die Gazi-Husrev-Beg-Moschee wurde 1531 fertiggestellt und ist eine der ältesten Moscheen in Bosnien und Herzegowina. Den Gebetsraum können wir nicht wirklich betreten, wir dürfen nur von der Seite hineinschauen. Er ist reich mit Arabesken verziert, mit kostbaren Teppichen ausgelegt und wirklich wunderschön.




Im Innern der Gazi-Husrev-Beg-Moschee





Dito







Die Gazi-Husrev-Beg-Moschee von außen




Zu jeder Tageszeit schön: die Gazi-Husrev-Beg-Moschee






Minarett der Gazi-Husrev-Beg-Moschee, daneben der Uhrturm "Sahat Kula"


Der Sebilj-Brunnen auf dem alten Marktplatz 
in der Altstadt von Sarajevo am Abend







Dito

Am Abend gehen wir noch einmal hoch zum Aussichtspunkt am Gelben Turm, um den Sonnenuntergang über der Stadt zu erleben, spazieren ein letztes Mal durch die Altstadt und kehren zum Abschluss für Ražnjići und Ćevapčići in unserem Stammrestaurant ein. Am nächsten Tag fliegen wir zurück nach Deutschland, nach einem überaus spannenden Aufenthalt. Sarajevo ist zwar nicht unbedingt eine Stadt der Superlative, hier gibt es keine Weltklassemuseen oder -bauten, hier finden keine grandiosen Kunst- oder Kulturereignisse statt, aber nach Sarajevo zu reisen, bedeutet, Geschichte zu erleben und einen Ort zu besuchen, wo Orient und Okzident in einzigartiger Weise aufeinandertreffen.






An unserem letzten Abend in Sarajevo steigen wir noch einmal hinauf zum Aussichtspunkt am Gelben Turm und beobachten den Sonnenuntergang.







Sarajevo - eine unserer besten Reisen der letzten Jahre