Donnerstag, 10. Dezember 2015

Sommer 2015, Teil 3: Über Berlin zurück nach Jexmühle


Sommer 2015, Teil 3Über Schwerin und Berlin zurück nach Jexmühle
 
1.8.2015  bis 5.8.2015
62 km

Am Abend des 1. August 2015 kommen wir mit der Fähre aus Klaipėda in Kiel an und fahren mit der Bahn zu Jörg in Eckernförde, wo unser Auto steht. Uns bleibt noch Zeit für einen Abstecher nach Berlin. Auf dem Wege dorthin machen wir einen kurzen Stopp in Schwerin, um diese schöne Stadt kennenzulernen. 

In Berlin bleiben wir zwei Tage. Wir schauen uns die Gedenkstätte Hohenschönhausen an. Das ehemalige Stasi-Gefängnis kann nur im Rahmen einer Führung besichtigt werden. Diese beginnt in den Kellerräumen einer ehemaligen Großküche, in der die Sowjets 1945 das sogenannte Speziallager 

Nr. 3 und nach dessen Schließung Ende 1946 das zentrale sowjetische Untersuchungsgefängnis für Ostdeutschland einrichteten. Die Lebens- bedingungen hier waren katastrophal. Die fensterlosen, bunkerartigen Zellen waren unbeheizt und so feucht, dass selbst die Haare der Inhaftierten schimmelten. Tag und Nacht war eine Glühbirne angeschaltet. Die Verhöre fanden vor allem in der Nacht statt und waren oft von Drohungen und körperlicher Gewalt begleitet. Ehemalige Häftlinge berichteten später, wie sie durch Schlafentzug, stundenlanges Stehen, tagelangen Arrest oder Aufenthalt in Wasserzellen zu Geständnissen gezwungen wurden. Zu den Inhaftierten zählten neben NS-Verdächtigen vor allem mutmaßliche politische Widersacher. In der Zeit des Speziallagers war einer der prominentesten Häftlinge der Schauspieler Heinrich George, der Vater von Götz George, dem unter anderem Beteiligung an NS-Propagandafilmen vorgeworfen wurde. Er starb 1946 im Speziallager Sachsenhausen.

 Ab 1951 übernahm das Ministerium für Staatssicherheit das Kellergefängnis und  erweiterte es Ende 1960 durch einen Neubau, der bis Januar 1990 als zentrale Untersuchungshaftanstalt genutzt wurde. Tausende politisch Verfolgte waren an diesem Ort inhaftiert, darunter fast alle bekannten DDR-Oppositionellen. Dieses Gebäude besichtigen wir als nächstes. Hier lernen wir alle Stationen der Untersuchungshaft kennen, von der Einlieferung über die erkennungsdienstliche Behandlung bis zur Vernehmung. Seit den 60er Jahren verzichtete man zunehmend auf die physische Gewalt der 1950er Jahre und setzte mehr auf  raffinierte psychologische Foltermethoden. Über den Ort ihrer Haft ließ man die Häftlinge bewusst im Unklaren. Sie wurden mit Spezialfahrzeugen aufgegriffen, die als Auslieferungswagen z.B. für Fisch und Backwaren getarnt waren, und dann stundenlang durch die Gegend gefahren, damit sie die Orientierung verloren. Systematisch gab man ihnen das Gefühl, einem allmächtigen Staat ausgeliefert zu sein. Bei der erkennungsdienstlichen Behandlung mussten sich die Häftlinge nackt ausziehen und bewacht von Wärtern oft  stundenlang ausharren, eine entwürdigende Situation. Sie bekamen Pritschen, die zu klein waren, so dass sie sich zum Schlafen nicht richtig ausstrecken konnten, und Gefängniskleidung, die zu klein oder zu groß war, damit sie lächerlich aussahen. Von der Außenwelt waren sie hermetisch abgeschnitten und von den Mitgefangenen meist streng isoliert. Tagsüber durften sich die Häftlinge nur auf die Bettkante setzen, nicht ausstrecken. Die Wärter konnten das jederzeit durch eine Klappe kontrollieren. Dass sie sich näherten, hörte man nicht, denn die Flure waren mit dicken Teppichen ausgelegt. Wer sich nicht an die Regeln hielt, musste zur Strafe z.B. stundenlang in kaltem Wasser stehen oder wurde in eine komplett schwarz verkleidete Gummizelle eingesperrt, in der man sich, wenn einen die Verzweiflung überwältigte, aber nicht verletzen konnte. 120 Vernehmungszimmer standen zur Verfügung, wo die Gefangenen  monatelang verhört wurden, um sie zu belastenden Aussagen zu bewegen. Während der Vernehmungen saß der Stasibeamte  auf einem bequemen Stuhl an einem großen Schreibtisch, der Häftling dagegen auf einem kleinen Hocker. Der Inhaftierte sollte erniedrigt und psychisch vernichtet werden, damit er nie wieder aufsässig und politisch aktiv würde. Die Führung dauert 1 ½ Stunden und ist sehr informativ und spannend. 

Anschließend fahren wir mit den Rädern weiter zum Stasi-Museum im Haus 1 des früheren Ministeriums für Staatssicherheit in der Ruschestraße. Hier ist auf drei Etagen eine Dauerausstellung untergebracht, in deren Mittelpunkt die Frage steht, wie es der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) über 40 Jahre hinweg gelang, die Menschen in der DDR unter Kontrolle zu halten. Wichtigstes Instrument dabei war das Ministerium für Staatssicherheit (MfS), das als sogenanntes „Schild und Schwert der Partei“ unter der Führung der SED die „Arbeiter- und Bauernmacht“ zu schützen und das Herrschaftsmonopol der SED-Diktatur abzusichern hatte. Die Dauerausstellung klärt über Aufbau, Entwicklung und Arbeitsweise des MfS auf. Sie informiert den Besucher über die Menschen, die für diese Institution tätig waren, und zeigt die Methoden, die sie bei der Kontrolle und Verfolgung der DDR-Bevölkerung anwendeten. Hunderttausende waren für das MfS aktiv. Sie waren hauptamtliche oder inoffizielle Mitarbeiter oder sie unterstützten das MfS als Funktionäre in der Verwaltung. In der Dauerausstellung werden zahlreiche, oft einmalige Objekte wie Spezialkameras, Wanzen, Einbruchswerkzeuge oder Geräte zum heimlichen Öffnen von Briefen präsentiert, die das Ausmaß der Überwachung durch das MfS veranschaulichen. Ausgewählte Beispiele aus unterschiedlichen Stasi-Akten dokumentieren die Aktivitäten des MfS gegen die eigene Bevölkerung.
Besonders interessant für uns ist die 2. Etage, die Minister-Etage, die nach den Bedürfnissen von Erich Mielke, dem letzten Minister für Staatssicherheit geplant wurde. Als DDR-Bürger im Januar 1990 das Gebäude stürmten, um die Vernichtung von Stasi-Akten zu verhindern, blieb dieser Bereich nahezu unangetastet. So können die ehemaligen Diensträume von Erich Mielke noch heute weitestgehend im Originalzustand besichtigt werden. Mielke hatte hier nicht nur seinen Arbeitsplatz, sondern ein ganzes Apartment, mit Bad, Küche und Ruhebett. Die gesamte Einrichtung wirkt unglaublich spießig und banal. Heute ist kaum noch  vorstellbar, dass das einmal die Machtzentrale des gefürchteten und mächtigen Stasi-Chefs war, der von hier aus den riesigen Bespitzelungs- und Unterdrückungsapparat der Stasi dirigierte. 


Die 3. Etage beschäftigt sich mit der Auflösung der Stasi. In Endlosschleife kann man sich dort Mielkes peinlichen Auftritt vom 19. November 1989 vor der DDR-Volkskammer anhören, als er, der einst unangreifbare Stasi-Chef, ausgelacht wurde und schließlich  in abgehackten Sätzen stammelte: „Ich liebe – Ich liebe doch alle – alle Menschen. – Na ich liebe doch – Ich setze mich doch dafür ein!“ 

Außerdem gibt es auf der 3. Etage  eine Sonderausstellung zu Udo Lindenberg und Erich Honecker, benannt nach Lindenbergs Song „Mit dem Sonderzug nach Pankow“. Darin besang er 1983 seinen Wunsch, in der DDR aufzutreten, was ihm einige Jahre zuvor versagt worden war. Der Song sorgte für viel Ärger in der DDR, gleichwohl durfte Lindenberg im Oktober 1983 zum ersten und einzigen Mal in Ost-Berlin auftreten, aber als er die Bühne im Palast der Republik betrat, saßen dort nur Funktionäre. Die richtigen Fans hatten sich draußen vor der Tür versammelt, zu Tausenden, und riefen: „Wir wollen rein.“   Für die Stasi bedeutete der Auftritt einen Großeinsatz. Sie observierte jeden Schritt Lindenbergs, bis zur Toilette.  

In der Ausstellung ist die berühmte schwarz-rote Lederjacke zu sehen, die Lindenberg 1987 an Erich Honecker schickte. Der revanchierte sich mit einer Schalmei und bei Honeckers erstem Besuch in Westdeutschland im gleichen Jahr schenkte Lindenberg ihm eine E-Gitarre mit der Aufschrift „Gitarren statt Knarren“. 

An unserem zweiten Berlin-Tag erkunden wir mit den Rädern Kreuzberg und Neukölln, fahren dann zum wiederholten Male zur East Side Gallery, dem längsten noch erhaltenen Teilstück der Berliner Mauer, und anschließend ins Zentrum und zum Brandenburger Tor. Auf der Spreeinsel wird seit 2013 am Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses gearbeitet, dessen Ruinen die SED 1950 abreißen ließ. Noch ist da eine riesige Baustelle, aber das Schloss nimmt schon Gestalt an. 


Am nächsten Tag reisen wir über Quedlinburg zurück nach Jexmühle – nach einem unglaublich spannenden Sommer.








Die Sommerferien sind noch nicht zu Ende: Von Eckernförde aus fahren wir nach Berlin und machen auf dem Weg dorthin einen kurzen Abstecher nach Schwerin. Das Wahrzeichen der Stadt ist das Schweriner Schloss, das auf einer Insel im Schweriner See liegt.


Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen: In den Kellerräumen dieses Gebäudes, früher eine Großküche der nationalsozialistischen Volkswohlfahrt, war seit 1945 das sowjetische Speziallager Nr. 3 untergebracht und ab 1947 das zentrale sowjetische Untersuchungsgefängnis für Deutschland. 1951 übernahm dann die Stasi das Kellergefängnis.


Hauptrolle im antisemitischen Nazi-Propagandafilm von 1940:
Heinrich George als Herzog (rechts) mit  "Jud Süß" Ferdinand Marian. 
Der Vater von Götz George wurde nach Kriegsende unter anderem wegen seiner Beteiligung an NS-Propagandafilmen von den Sowjets im Speziallager Nr. 3 in Hohenschönhausen interniert. Tatsächlich hatte sich George, der zunächst mit dem Kommunismus sympathisierte, nach 1933 mit den Nationalsozialisten arrangiert, aber er setzte  sich auch wiederholt für jüdische Künstlerkollegen ein, denn im Herzen war er kein Nazi. George kam im Sommer 1946 in das Speziallager Sachsenhausen, wo er wenig später starb. Seine Gebeine wurden erst 1994 nach Angaben eines Mithäftlings in einem Waldstück bei Sachsenhausen gefunden und mittels eines DNA-Vergleichs mit seinen Söhnen identifiziert. Heute hat er ein Ehrengrab in Berlin-Zehlendorf.


In den Kellerräumen der ehemaligen Großküche mussten die Häftlinge seit 1947 fensterlose, bunkerartige Zellen errichten, das sogenannte "U-Boot". Die feuchtkalten Kammern waren nur mit einer Holzpritsche und einem Kübel ausgestattet.


Im "U-Boot"- Trakt: Durch diese Türen gab es kein Entkommen.


Der Vernehmertrakt wurde von der Stasi neu errichtet und war durch Gitterschleusen direkt mit dem Zellentrakt verbunden. In den 120 Vernehmungszimmern fanden die wochenlangen, meist mehrstündigen Verhöre statt.


Zelle mit Pritsche, Tisch, Hocker und Gefängniskleidung im 1960 neu errichteten Zellentrakt


Erkennungsdienstliche Behandlung: Hier fertigte man sogenannte Täterlichtbilder an, für die sich der Inhaftierte auf den drehbaren Holzstuhl setzen musste. Die Registriernummer wurde in die Leiste des daneben stehenden Gestells geschoben und mitfotografiert. Der Schriftsteller Jürgen Fuchs berichtete, dass er 1976 in dem Fotoraum längere Zeit auf dem Stuhl angeschnallt sitzen musste und ein lautes Lampengeräusch vernahm. Danach habe er rätselhafte, schlagartige Gesundheitsveränderungen verspürt. Er äußerte den Verdacht, dass man ihn damals insgeheim radioaktiv bestrahlt hätte. Wie andere inhaftierte Dissidenten, z.B. Rudolf Bahro, starb er  an einer Krebserkrankung - 1999 im Alter von nur 48 Jahren.

Stasi-Museum in Berlin: Der Arbeitsplatz von Erich Mielke, dem letzten Minister für Staatssicherheit, ist weitestgehend im Originalzustand erhalten.


Mielke hatte im Ministerium für Staatssicherheit ein ganzes Apartment zu seiner Verfügung. Hier sein Ruhebett.


In der 3. Etage des Stasi-Museums haben wir Gelegenheit, uns die Sonderausstellung "Mit dem Sonderzug nach Pankow" zu Udo Lindenberg und Erich Honecker anzuschauen. Hier sind die Geschenke zu sehen, die sie sich gegenseitig machten: Die berühmte schwarz-rote Lederjacke, die Lindenberg 1987 an Erich Honecker schickte, die Schalmei, mit der sich Honecker revanchierte und die E-Gitarre mit der Aufschrift "Gitarren statt Knarren", die Udo Lindenberg Honecker 1987 bei seinem ersten Besuch in Westdeutschland schenkte.


                                                   Udo Lindenberg auf der Bühne im großen Saal des Palastes der Republik 1983
Udo Lindenberg 1983 bei seinem Auftritt im Palast der Republik.


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Wuppertal 1987: Udo Lindenberg überreicht Erich Honecker bei seinem ersten Besuch in West-Deutschland eine E-Gitarre mit der Aufschrift "Gitarren statt Knarren". Rechts im Bild Johannes Rau.


                                    abfotografierte Stasiakte Lindenbergs
Auszug aus der Stasi-Akte von Udo Lindenberg


An unserem zweiten Berlin-Tag erkunden wir die Stadtteile Neukölln und Kreuzberg. Die Oberbaumbrücke, die schönste Brücke Berlins,  verbindet Kreuzberg und Friedrichshain. Zur Zeit des geteilten Deutschland war sie gesperrt, denn quer über die Brücke verlief die Grenze zwischen Ost- und Westberlin.


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Die Oberbaumbrücke zur Zeit des geteilten Deutschland.


Auf der Spreeinsel in Berlin: Das Berliner Stadtschloss war einst das dominierende Bauwerk in der historischen Mitte Berlins. 1950 beschloss die SED, das stark beschädigte Gebäude ganz zu beseitigen. Später entstand auf dem Gelände der Palast der Republik, der wiederum ab 2006 abgerissen wurde. 2013 begann man mit dem Wiederaufbau des Berliner Schlosses an alter Stelle, der 2019 abgeschlossen sein soll. 



In den Ruinen von Berlin: Das vom Krieg zerstörte Stadtschloss, um 1947
Das vom Krieg zerstörte Berliner Schloss um 1947


1950: Das Schloss wird gesprengt.


Das Portal des Berliner Schlosses überlebte: Von dessen Balkon aus hatte Karl Liebknecht am 9. November 1918 die Sozialistische Republik ausgerufen. Deshalb wurde es später als Symbol für die Verwirklichung der Ziele Liebknechts und der Novemberrevolution in Form der sozialistischen DDR in die Fassade des Staatsratsgebäudes der DDR integriert.
Im Staatsratsgebäude, das in unmittelbarer Nähe zum Berliner Schloss steht, arbeiteten Walter Ulbricht und Willi Stoph und  von 1976 bis 1989 Erich Honecker. Von 1999 bis 2001 hatte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder hier seinen Berliner Dienstsitz, weil das neue Bundeskanzleramt am Reichstagsgebäude noch nicht fertiggestellt war. Heute ist in dem Gebäude eine Managerschule untergebracht.

9. November 1918: Karl Liebknecht ruft vom Balkon des Berliner Schlosses die Sozialistische Republik aus.


Auf dem Rückweg von Berlin nach Jexmühle machen wir einen kurzen Stopp in der wunderschönen Fachwerkstadt Quedlinburg.