Donnerstag, 4. Juli 2013

Kalifornien 5: Von Sacramento nach San Francisco

2.6.2013  bis 12.6.2013   

Von Fresno erreichen wir nach einer sehr angenehmen Bahnfahrt Sacramento. Kaliforniens Hauptstadt, einst als Goldgräbersiedlung entstanden, hat ein sehr nettes historisches Zentrum, mit hochgelegten Bürgersteigen aus Holzbohlen und schönen alten Häusern – genauso, wie man sich eine Stadt im „Wilden Westen“ vorstellt. Sacramento liegt am Zusammenfluss des Sacramento und American River, an dem entlang ein Radweg verläuft, der über ca. 50 km in östlicher Richtung zum Folsom Lake führt. Dorthin fahren wir, übernachten in Folsom auf einem Zeltplatz und radeln am nächsten Tag wieder zurück. Am Fluss ist die Hölle los, hier wird gebadet, gepaddelt, gepicknickt, alle suchen nach Abkühlung, denn tagsüber ist es flirrend heiß. Nachts wird es jedoch erstaunlich frisch – das ist der kühlen Luft zu verdanken, die vom Meer herüberweht. Sacramento liegt Luftlinie nur ca. 120 km vom Pazifik entfernt und ca. 170 km nordöstlich von San Francisco. Wenn wir wollten, könnten wir in zwei Tagen dort sein. Aber wir haben noch Zeit, v.a. weil wir den Abstecher in den „Yosemite National Park“ streichen mussten und nach Sacramento den Zug genommen haben.

Eine kurze Etappe ist es bis Davis, einer kleinen, sehr schönen Universitätsstadt. Das Symbol von Davis ist das Hochrad, der Ort gilt als Fahrradstadt und tatsächlich haben wir nirgendwo sonst in Kalifornien ein so gutes Fahrradwegenetz erlebt. Es ist gerade Markttag, außerdem schauen wir uns die „US Bicycling Hall of Fame“ an, eine Art Museum, in dem amerikanische Fahrradlegenden gewürdigt werden. Lance Armstrong hat als überführter Doper keine Chancen mehr, hier einen Ehrenplatz zu bekommen, versichert man uns, allerdings ist eines seiner Fahrräder ausgestellt. Wir übernachten bei Peggy und John von Warmshowers. Die beiden sind mit über 65 noch „cross country“ gefahren, d.h. sie haben die ganze USA von West nach Ost durchquert – mit dem Rad natürlich. Das haben wir auch noch auf der Liste. Sie geben uns gute Tipps für die Weiterfahrt und so radeln wir am nächsten Tag auf einer ganz ruhigen Straße, die auch landschaftlich sehr schön und total einsam ist, ins Napa Valley. Dabei müssen wir einen Gebirgszug überqueren, dann geht es steil hinunter in Kaliforniens bekanntestes Weinanbaugebiet. Eigentlich hatten wir noch eine Fahrt durch das Napa Valley geplant, aber die Straßen hier sind extrem stark befahren, außerdem werden wir von mehreren Seiten gewarnt, dass man jederzeit mit alkoholisierten Autofahrern rechnen müsse, hier kann man nämlich an jeder Ecke eine Weinprobe machen. So fahren wir nach einer Übernachtung im Napa Valley State Park gleich weiter, überqueren noch eine Hügelkette und erreichen das nächste Tal, das Sonoma Valley, ebenfalls ein bekanntes Weinanbaugebiet. Wir bleiben eine Nacht bei Emily und Bryan von Warmshowers in Santa Rosa, wo die beiden am Stadtrand ein schönes Haus mit großem Garten bewohnen. Emily hat superlecker gekocht, zu Besuch sind noch ihr Vater und Freundin Anne, Bryan macht gerade eine Fahrradtour. Später gibt es „Chicken TV“, zum Haushalt gehören nämlich außer zwei Katzen noch etliche Hühner, die wir von der Veranda aus beobachten und die sich auch schon mal auf den Arm nehmen lassen…..

Am nächsten Morgen fassen wir einen schnellen Entschluss: Wir werden Kalifornien eine Woche früher als geplant verlassen und buchen den Flug nach Washington um. Nicht, dass es uns in Kalifornien nicht mehr gefallen würde, aber für einen weiteren Abstecher in die Sierra Nevada, etwa zum Lake Tahoe, ist die Anreise zu lang. Der Highway 1 in Nordkalifornien wäre eine andere Option, doch nach Susan und Brian haben uns auch Peggy und John dringend davon abgeraten: zu viel Verkehr, die Straße eng, kurvig und ohne Randstreifen, kurz: supergefährlich. Wir hatten auch überlegt, für ein paar Tage einen Mietwagen zu nehmen, aber mit dieser Idee können wir uns nicht wirklich anfreunden.

So verzichten wir auf einen weiteren Schlenker nach Norden und fahren von Santa Rosa auf direktem Wege zur Küste. Schon am Abend erreichen wir wieder den Pacific Coast Highway, den wir vor ein paar Wochen bei Santa Barbara verlassen haben. In Santa Rosa haben wir gestern noch in der Hitze geschmort, hier dagegen liegt alles im kühlen Küstennebel. Wir bleiben in der Nähe des Ortes Bodega Bay, unserem nördlichsten Punkt. Ort und Bay wurden bekannt durch Hitchcocks Film „Die Vögel“ von 1963. Tatsächlich wurden die meisten Szenen hier und in dem etwas weiter landeinwärts gelegenen Dorf Bodega gedreht. Bodega Bay ist der größere und touristischere Ort, aber hier erinnert uns gar nichts an den Film, den wir natürlich kennen. Wir halten am nächsten Morgen kurz am Hafen – ja, so grau und düster war die Stimmung auch in dem Film. Wenn mich jetzt eine Möwe angreift, wie in dem Film Tippi Hedren, bin ich aber ganz schnell weg…. Bodega liegt nur eine Meile von der Küste entfernt, der Mini-Ort besteht lediglich aus ein paar Häusern, die mit ihrem altmodischen Aussehen den Eindruck erwecken, als sei hier die Zeit stehengeblieben. Die ganze Szenerie erinnert mich viel eher an den Hitchcock-Film als Bodega Bay, wahrscheinlich hat sich hier seitdem auch gar nicht viel verändert. Wir machen eine Pause in einem kleinen Café, das mit einer Hitchcock-Figur vor der Tür wirbt. Drinnen gibt es Infos zum Film, Postkarten mit Filmszenen und eine Tippi-Hedren-Figur mit einer Möwe auf dem Kopf. Aus einer dicken Info-Mappe erfahren wir, dass die Schule und die direkt daneben befindliche Kirche, die in dem Film eine Rolle spielen, echte Gebäude darstellten und hier in Bodega stehen. Natürlich schauen wir uns die noch an, die Kirche kam mir doch gleich so bekannt vor…. Das Schulgebäude ist heute in Privatbesitz, wir wagen trotzdem ein Foto.

Den stark befahrenen Highway 1 können wir bald verlassen und auf den „Shoreline Highway“ ausweichen, der näher an der Küste vorbeiführt. Hier ist kaum noch Verkehr und die Strecke landschaftlich einfach nur wunderbar, aber hügelig – wie immer in Kalifornien. Bald erreichen wir den kleinen Ort Tomales, eigentlich nur ein Flecken, mit hübschen, bunten Holzhäusern. Bis zum Abend kommt dann gar nichts mehr, außer ein paar verstreuten Farmen, Restaurants und Hotels. Aber so abgelegen und einsam diese Gegend auch erscheinen mag – man darf nicht vergessen, dass San Francisco quasi um die Ecke liegt, nur einen Katzensprung entfernt. In Point Reyes Station kaufen wir für den Abend ein, gut 10 km dahinter steht dann unser Zelt bald auf einer Hiker/Biker Site im Samuel P. Taylor State Park. Zwei andere Radler sind schon da, junge Amerikaner, vielleicht Anfang/Mitte 30. Sie wollen jeden einzelnen US-Bundestaat „beradeln“ und haben dafür zwei Jahre Zeit. Heute sind sie nur 15 km gefahren, es ist ihr erster Tag, den sie zusammen mit ihrem Fahrradausstatter feiern. Die Räder sind nämlich teure Sonderanfertigungen mit extra langen Gepäckträgern, damit man hinten statt zwei Fahrradtaschen vier unterbringen kann. Vorderradtaschen haben sie auch, macht zusammen pro Rad sechs Taschen. Ich habe zwei Radtaschen und einen kleinen Packsack, Gerold hat vier Taschen und einen dicken Packsack – das ist schon ziemlich viel. Wir sagen nichts und staunen nur, was die alles dabei haben: schwere Stiefel, zwei Campingstühlchen (!!), eine aufwendige Küchenausstattung etc. etc. Die würden wir gerne mal an dem steilen Berg sehen, den wir heute zum State Park runtergefahren sind – da müssen sie nämlich morgen hoch. Auf dem Wege nach San Francisco fahren wir am übernächsten Tag gegen Mittag wieder durch den State Park, da sind die „Edelvagabunden“ (ihre Website:  http://www.nomadictemporarystructureenthusiasts.com)  immer noch nicht abgereist, aber sie haben ja auch zwei Jahre Zeit.

Wir machen noch einen Abstecher zum Point Reyes National Seashore, einem Schutzgebiet an der Pazifikküste, das vom National Park Service verwaltet wird. Es umfasst im Prinzip eine Halbinsel, die durch die schmale, ca. 20 km lange, aber nur 1 km breite, wunderschöne Tomales Bay vom Festland abgetrennt ist, an der wir gestern entlang geradelt sind. Irgendwann wird aus Point Reyes eine Insel werden, denn das Gebiet liegt auf der Pazifischen Platte, die im Verhältnis zur Nordamerikanischen Platte nach Norden driftet. Die Tomales Bay markiert die Plattengrenzen und ist Teil der San-Andreas-Verwerfung, die sich ab hier bis zur mexikanischen Grenze zieht, eine der wenigen Plattengrenzen, die man an Land sehen kann.



Point Reyes ist ein Paradies für Naturfreunde, die Campingplätze sind meist schon Wochen im Voraus ausgebucht, zumal das Schutzgebiet nur ca. 55 km von San Francisco entfernt liegt und so etwas wie ein Naherholungsgebiet für diesen Großraum darstellt. Einige wenige Plätze werden aber für Besucher ohne Reservierung freigehalten und jeden Tag neu vergeben. Wir haben Glück und ergattern einen Stellplatz auf dem Sky Campground. Der Name (sky = Himmel) hätte uns eigentlich schon misstrauisch machen müssen – wir haben den höchstgelegenen Campingplatz im ganzen Schutzgebiet erwischt. Die Anreise ist knochenhart, nach einem langen Anstieg auf Asphalt müssen wir unsere beladenen Räder noch über 2 km einen steilen Waldweg hochschieben – der Sky Campground ist nämlich wie alle anderen Campingplätze hier ein „walk-in“, also nur zu Fuß erreichbar. Die Belohnung ist ein phantastischer Fernblick aufs Meer, keine Wolke verdeckt die Sonne. Das bleibt auch am nächsten Tag so, als wir zurück nach San Francisco bzw. Sausalito radeln. 



Im historischen Zentrum von Sacramento



Hier beginnt der rund 50 km lange American River Radweg.



Auf dem American River Parkway (1)



Auf dem American River Parkway (2)



Am  Abend, kurz vor dem Campingplatz am Folsom Lake, liegt diese Klapperschlange
 auf dem warmen Asphalt. Um ein Haar wäre ich drübergefahren ...  



Uschi umschiebt die Gefahrenstelle weiträumig.



Auf dem Campingplatz am Folsom Lake sind wir fast allein. An Wochenenden ist hier die Hölle los.




Von Sacramento geht es weiter Richtung Davis - teilweise wieder auf einem Radweg, parallel zur Autobahn.



Kurz vor Davis: Ein Güterzug "überholt" uns.



Diese ehrenamtlichen Mitarbeiter in der "US Bicycling Hall of Fame" in Davis 
werden immer nur nach Lance Armstrong gefragt, beklagen sie sich. 



Mit unseren sympathischen Gastgebern Peggy und Jon




Hinter Davis ist die Landschaft halbwüstenartig.



Dieses Schild sieht man in Kalifornien häufig, wir empfinden es als Drohung. 
Es bedeutet: Der Randstreifen hört bald auf, macht Euch darauf gefasst, 
dass ihr dann zu den vielen  Autos und Trucks auf die  Straße müsst.



Im Napa Valley, dem berühmtesten kalifornischen Weinanbaugebiet



Santa Rosa/Sonoma Valley: Leckeres Abendessen mit Emily (2. von links), ihrem Vater und Freundin Ann




Chicken TV mit Emily



Skurrile Begegnung auf dem Radweg hinter Santa Rosa.



Hier WOHNT jemand: Am Rand kalifornischer Städte (hier: Santa Rosa) hausen oft Obdachlose. 



Hiker/Biker-Zeltplatz im Sonoma Coast State Park nördlich von Bodega Bay



Im Hitchcock-Ort Bodega Bay (1)



Im Hitchcock-Ort Bodega Bay (2): Der einzige Laden 


Vor 50 Jahren in Bodega gedreht: "Die Vögel".



Bodega: Begegnung mit dem Meister persönlich



Die Kirche von Bodega  - genauso wie man sie aus "Die Vögel" kennt.



Das ehemalige Schulgebäude, auch eine Filmkulisse aus "Die Vögel"



Päuschen im Café von Tomales



Kurz vor der Tomales Bay: Genau hier verläuft der San-Andreas-Graben zwischen 
der nordamerikanischen und der pazifischen Kontinentalplatte.



Die spezialangefertigten Super-Schwerlasträder der "Edelvagabunden"




Point Reyes National Seashore: Auf dem Weg zum Sky Campground



Unser Zeltplatz auf dem Sky Campground
- von der tollen Aussicht sieht man auf diesem Bild leider nichts.



Auf dem Rückweg nach San Francisco



Nach exakt 6 Wochen zurück im "heimatlichen" Sausolito: Der Blick auf die Skyline von San Francisco