Sonntag, 28. Juli 2013

Island 2: Über die Kjölur-Route durch das isländische Hochland zur Nordküste

 9. und 10. Juli 2013 

Zwei Hauptpistenrouten führen durch das isländische Hochland, die „Kjölur“ und die „Sprengisandur“. 1933 dauerte die erste Autofahrt über die Sprengisandur noch eine Woche – für 200 km!! Mittlerweile sind die Pisten natürlich viel besser ausgebaut, aber immer noch schwierig. Wir werden die Kjölur fahren, auf der im Gegensatz zur Sprengisandur alle Flüsse überbrückt sind – mit den beladenen Rädern eiskalte, reißende Gletscherflüsse zu furten, ginge aber auch wirklich ein bisschen zu weit. Außerdem kennen wir die Sprengisandur schon: Bei unserer ersten Islandreise 1982 waren wir dort mit einem alten VW-Bus unterwegs – und blieben beim Furten prompt mitten in einem Fluss stecken. Zu unserem Glück war ein schwerer Geländewagen zur Stelle, der uns aus dem Wasser zog.

Kurz hinter dem Gullfoss und unserem „wilden“ Übernachtungsplatz beginnt die 160 km lange Pistenstrecke. Die Voraussetzungen sind gut: Für heute ist Sonne gemeldet, morgen soll es bedeckt, aber noch trocken sein und übermorgen wieder regnen. Wir fahren Richtung Norden, der Wind kommt aus Süden, wird uns also antreiben. Eigentlich gibt es in Island gar keinen Wind, nur Sturm, nach unserer Erfahrung jedenfalls. Wenn man gegen den anfahren muss, stellt man besser sofort sein Zelt auf und wartet ab oder dreht das Rad in die andere Richtung. Es empfiehlt sich also sehr, den Wetterbericht zu studieren, bevor man ins Hochland aufbricht, denn auch im Sommer muss man hier mit winterähnlichen Situationen rechnen. Selbst im Juli, dem normalerweise wärmsten Monat in Island, ist Neuschnee keine Seltenheit. Fällt die Temperatur, können in Kombination mit Niederschlag schnell lebensbedrohliche Situationen entstehen, wenn man nicht entsprechend ausgerüstet ist. Bevor wir gestern vom Gullfoss weiterfuhren, sprach uns noch ein Franzose mit ernster Miene an und fragte uns, ob wir eigentlich wüssten, wie hart die Kjölur sei. Er war mit einem Tretroller(!!!) auf der Strecke unterwegs, eine ziemlich verrückte Idee, geriet in schweren Sturm und Regen und musste sich am Ende von der Bergrettung rausholen lassen. Wir fragen nicht, was ihn das gekostet hat…. Ein anderer Radler, mit dem wir uns kurz unterhielten, musste wegen des schlechten Wetters ebenfalls aufgeben und stieg in den Bus, der in den Sommermonaten einmal täglich auf der Kjölur verkehrt und eine gewisse Sicherheit bietet. Auch gibt es unterwegs Hütten mit Campingplätzen, aber nur wenige und in großen Abständen. Die Hütten werden nur im Sommer bewirtschaftet, ansonsten ist das Hochland gänzlich unbewohnt, es ist eine rauhe, wilde Gegend, karg und nur spärlich bewachsen. Der schwerste Zwischenfall auf der Kjölur ereignete sich Im Oktober 1780, als beim Schafabtrieb fünf Reiter mit 16 Pferden und 180 Schafen ums Leben kamen, nachdem sie von einem Schneesturm überrascht worden waren.
Wir dagegen müssen mit solchen Unbilden nicht rechnen und fahren wie vorhergesagt in einen wunderbaren Morgen hinein – die Sonne scheint, der Himmel ist (fast) blau. Die Piste ist glatt und lässt sich prima fahren, was gut ist, denn schon bald geraten wir in die Steigung zum Hochland, das durchschnittlich 600 bis 800 m über dem Meeresspiegel liegt. Durch eine karge Grundmoränenlandschaft erreichen wir mit dem Pass Bláfellsháls (610 m) die vorerst höchste Stelle. Die Kjölur führt zwischen den Gletschern Langjökull (zweitgrößter in Island) und Hofsjökull (drittgrößter) hindurch, die schon bald westlich und östlich in Sicht kommen. Wir passieren den Tafelvulkan Bláfell (1204 m), dann geht es hinunter zum Hvitárvatn, einem wunderschönen Gletschersee, in den früher eine Gletscherzunge des Langjökull kalbte. Jetzt schwimmen keine Eisberge mehr im Wasser – wie überall in Island haben sich auch hier die Gletscherzungen in den letzten Jahren um einiges zurückgezogen. Wir machen immer wieder Fotopausen – die Landschaft ist grandios. Wenn das Wetter mitspielt, ist Island das schönste Land auf der Welt.

Hinter dem Hvitárvatn erreichen wir bald die Hütte Arbudir und machen in der Mittagssonne eine kurze Pause. Die Hüttenwirtin warnt uns, dass die Piste jetzt bald wesentlich schlechter würde – und das ist leider tatsächlich so. Nach ca. 30 „guten“ Kilometern haben wir bis zum Abend nur noch eine sehr schwierige Piste, mit Wellblech, geröllig, grobsteinig, rutschig, außerdem geht es jetzt auch noch in Wellen stetig auf und ab – wir fahren heute 1163 Höhenmeter und über 80 km, trotz der sonst guten Bedingungen, Sonne und leichtem Rückenwind, ein ziemlich harter Tag. Kerlingarfjöll, ein beliebtes Wandergebiet am Hofsjökull mit einer Hütte und heißen Quellen, müssen wir leider auslassen, das vorhergesagte schlechte Wetter sitzt uns im Nacken. Auf den letzten ca. 20 km bis zu unserem Tagesziel Hveravellir ist die Piste für uns an der Grenze zur Befahrbarkeit, wir müssen immer wieder absteigen und schieben und sind froh, als wir endlich in Hveravellir ankommen, wo es Hütten und einen Campingplatz gibt, auf dem die Zelte dicht an dicht stehen. Die Sonne hat sich schon längst verabschiedet, die Wolken hängen tief und es ist richtig kalt – den höchsten Punkt der Kjölur (673 m) haben wir überschritten, aber Hveravellir liegt immer noch 650 m hoch. Die Gegend ist ein bekanntes Hochtemperaturgebiet, leider sind wir zu müde und durchgefroren, in dem heißen Naturpool zu baden, obwohl das eigentlich genau das Richtige gewesen wäre.

Auch am nächsten Morgen hängen die Wolken noch tief, aber dann klart es doch noch auf, die Sonne zeigt sich allerdings nur sehr selten. Die Piste bleibt bis Afangi, der nächsten und letzten Hütte auf der Strecke, schlecht. Wir haben v.a. sehr viel „Wellblech“, versuchen aber trotzdem, Tempo zu machen, denn wir wollen wegen der schlechten Wettervorhersage unbedingt noch heute die Kjölur verlassen, was sehr schade ist – man hätte die Strecke mit Abstechern leicht auf mehrere Tage ausdehnen können. Aber morgen soll ja der große Regen wieder beginnen, für das Hochland ist sogar Schnee vorhergesagt, da sollte man hier möglichst nicht unterwegs sein. Obwohl wir auch heute noch fast 800 Höhenmeter fahren, geht es insgesamt mehr abwärts, außerdem haben wir extrem starken Rückenwind, der uns geradezu fliegen lässt. Zwei junge Radler kommen uns aus der anderen Richtung entgegen und fahren grußlos und mit finsteren Mienen an uns vorbei – kein Wunder! Diesen Sturm möchte man wirklich nicht von vorne haben.
Hinter Afangi wird die Piste wieder deutlich besser. Gegen 15 Uhr haben wir das Ende der Kjölur erreicht und fahren steil abwärts ins wunderschöne Tal des Flusses Blanda. Im Vergleich zum kargen Hochland sieht es hier geradezu lieblich aus: Island-Pferde auf saftig grünen Weiden, Wiesenblumen, Bauernhäuser mit fotogenen roten Dächern – die reine Islandidylle. Um 16 Uhr treffen wir wieder auf die Ringstraße, die um ganz Island herumführt, und Asphalt. Knapp 30 km sind es noch bis zum Ort Blönduós an der Küste. Am Ende erwischt uns das schlechte Wetter dann doch noch, die letzten 20 km fahren wir in strömendem Regen – der Sommer hat nur ein kurzes Zwischenspiel gegeben.


Bilanz für die beiden Kjölur-Tage: 194 km, 1869 Höhenmeter, 15 Stunden 48 Minuten auf den Rädern.


Hochlanddurchquerung: Die vorläufig letzten Meter auf Asphalt 
kurz vor unserem Übernachtungsplatz



Unser Wildzeltplatz - leider gibt es hier unglaublich lästige kleine Fliegen.



Gleich fängt die Piste an.



Anfangs ist die Piste ausgezeichnet, 
wir sind kaum langsamer als auf Asphalt.



Typische Hochlandszenerie



Gut für uns Radler: Auf der Kjölur gibt es,  im Gegensatz zur anderen Hochlandpiste, der Sprengisandur,  keine Furten,
alle Flüsse sind überbrückt.



In der Ferne sieht man eine Gletscherzunge des Langjökull,
des zweitgrößten isländischen Gletschers.



Der wunderschöne Hvitárvatn : Früher kalbte der Langjökull in den See, 
jetzt haben sich die Gletscherzungen wie überall in Island zurückgezogen. 



Es geht aufwärts: Der höchste Punkt der Piste liegt auf rund 670 m.



Auf der Kjölur-Piste



Wir haben Glück mit dem Wind: Er kommt von Südwesten,
das heißt von hinten! 
Das erleichtert das Vorwärtskommen auf der schwierigen Strecke enorm.



Schwere Maschinen zur Pistenpflege - leider offensichtlich nicht im Einsatz



Begegnung auf der Piste: 
Mehrmals treffen wir Thomas und Karin aus Kopenhagen.



Trotz der schwierigen klimatischen Bedingungen gedeihen 
im Hochland diese Blütenpflanzen.



Hochland-Blumen (2)



Hochland-Blumen (3)



Trotz der kräftigen Regenfälle der vergangenen Tage ist die Piste 
zu unserem Glück fast völlig abgetrocknet, 
tiefe Pfützen wie hier sind sehr selten.



So sieht in Island Massentourismus aus: Hveravellir, eine Hütte
mit Campingplatz und heißen Quellen an der Kjölur. 




Am nächsten Morgen brechen wir sehr früh auf, 
um die Hochlanddurchquerung noch vor den 
für den Abend vorhergesagten Regenfällen abzuschließen. 



Hinter Hveravellir wird die Kjölur streckenweise zu einer üblen Wellblechpiste. Autofahrer spüren das gar nicht, 
wenn sie nur schnell genug fahren. 
Für uns Radler dagegen ist Wellblech ein Alptraum - 
ähnlich schlimm wie der sehr grobe Schotter in langen Abschnitten der Piste.



Während wir mit Fahrrädern unterwegs sind, 
trauen sich andere nur mit Spezial-Geländewagen auf die Kjölur.



In diese kleine Schutzhütte hinter Hveravellir 
kann man sich bei  Unwetter flüchten.



Viele Reisegruppen  haben diese Möglichkeit schon genutzt,
wie diese Aufkleber an der Hütte beweisen.




Auf der Kjölur nach Norden: Die Vegetation ist immer noch sehr karg...



... reicht aber schon für diese Hochlandbewohner.



Mittagspause an der Piste, kurz vor Àfangi.



Islandpferde in der Nähe von Àfangi, der letzten Hütte auf der Kjölur. 



Die letzten Kilometer auf der Piste: 
Es geht bergab, mit starkem Rückenwind. 
Wir begegnen einem Radlerpärchen, 
das in umgekehrter Richtung unterwegs ist.
 Kein Wunder, dass sie unseren Gruß nicht erwidern.



Für ein kurzes Stück ist die Piste noch einmal ziemlich schlecht.



                             Letzter Anstieg vor der asphaltierten Ringstraße



Fast oben - und  bald wieder auf Asphalt



Am Ende der Hochland-Durchquerung haben wir im Sabbatjahr
 bisher 14000 km auf den Rädern geschafft.



14000 km (2)