Donnerstag, 2. Mai 2013

Japan 3: Hiroshima und Miyajima

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31.3.2013 bis 3.4.2013

Unser nächstes Ziel nach Beppu ist die Hafenstadt Hiroshima auf der größten japanischen Insel Honshu. Um den Großraum dieser Millionenmetropole zu umgehen, der mit dem Rad sicher kein Vergnügen ist, nehmen wir zwei Fähren, einmal von Beppu nach Shikoku, der kleinsten der vier japanischen Hauptinseln, dann von Shikoku nach Honshu. Dazwischen radeln wir einen Tag auf Shikoku, um von einem Hafen zum anderen zu gelangen. Die Fähren sind wirklich angenehm, man kann sich zurücklehnen, ein  bisschen dösen, lesen oder am Blog arbeiten…. Außerdem lernen wir auf diese Weise Japan endlich als das kennen, was es ist: ein Inselstaat. Bei unseren ersten beiden Aufenthalten haben wir nämlich nur Honshu “beradelt“, unsere dritte Japanreise ist durch das Inselhüpfen ganz anders und wieder eine völlig neue Erfahrung.

In Hiroshima bleiben wir im Toyoko Inn am sogenannten Friedensboulevard, wo auch die Gedenkstätten zum Atombombenabwurf liegen. Am Tage unserer Ankunft haben wir gerade noch Zeit, zum Friedenspark zu gehen, der an den 6. August 1945 erinnert, als Hiroshima das Ziel der ersten Atombombe wurde. Um 8.15 h klinkte der amerikanische Pilot Paul Tibbets in dem Bomber „Enola Gay“, den er nach seiner Mutter benannt hatte, die Bombe „Little Boy“ aus. „Little Boy“ – „Kleiner Junge“ wurde die Bombe übrigens deswegen genannt, weil sie letztendlich kürzer ausfiel, als es die ursprüngliche Konstruktion vorsah -  eine ziemlich zynische Bezeichnung angesichts des Leids, das sie über die Bewohner Hiroshimas brachte und so menschenverachtend wie alles, was mit dieser Bombe zusammenhängt.

Mit einem grellen Blitz detonierte „Little Boy“ 580 m über dem Boden, ungefähr dort, wo sich heute der Friedenspark befindet. Ein riesiger Feuerball bildete sich, mit einer Innentemperatur von über einer Million Grad Celsius. Die intensive Hitzestrahlung und die Druckwelle zerstörten und verbrannten nahezu alle Gebäude (die meisten waren aus Holz) in einem Umkreis von 2 km vom Hypozentrum und vernichteten ca. 80 % der Stadtfläche. Hiroshima, heute eine Millionenmetropole, hatte damals weitaus weniger Einwohner, zum Zeitpunkt der Explosion hielten sich etwa 350.000 Menschen in der Stadt auf, ca. 90.000 wurden sofort getötet, weitere ca. 90.000 starben bis Jahresende 1945 an den Folgen der radioaktiven Strahlung (die Angaben über die Anzahl der Opfer schwanken). Bei Menschen, die sich sehr nahe am Hypozentrum aufhielten, verdampften buchstäblich die obersten Hautschichten, der gleißende Blitz brannte Schattenrisse von Personen in Stein, ehe sie von der Druckwelle weggeschleudert wurden.

Das Gelände des Friedensparks können wir uns gerade noch beim letzten Tageslicht anschauen. Hier befinden sich zahlreiche Denkmäler, z.B. das Kenotaph („Scheingrab“) mit den Namen aller bekannten Opfer der Atombombe. Die bogenförmige Konstruktion symbolisiert einen Schutzraum für die Seelen der Toten. Durch das Kenotaph hindurch kann man die „Flamme des Friedens“ sehen, die nicht gelöscht werden soll, solange noch Atomwaffen auf der Erde existieren, und den „Atombombendom“, der vom Friedenspark aus gesehen auf der anderen Flussseite liegt. Das Gebäude diente als Sitz der Industrie- und Handelskammer, bevor fast direkt darüber die Atombombe explodierte. Es brannte völlig aus, aber viele Gebäudestrukturen blieben erhalten, u.a. die charakteristische Stützkonstruktion des Kuppeldachs, der das Denkmal seinen heutigen Namen verdankt. In Erinnerung an den tragischen Tag, an dem innerhalb eines Augenblicks die Stadt nahezu vollkommen zerstört wurde, ließ man die Ruinen stehen. Der „Gembaku Domu“, wie er auf Japanisch heißt, seit 1996 UNESCO-Welterbestätte, ist Hiroshimas Symbol der Zerstörung und ein Mahnmal des Friedens.

Am nächsten Tag schauen wir uns das Friedensmuseum an, das die Geschichte der Atombombe, die Hintergründe bis zum Abwurf auf Hiroshima, die Schäden durch Hitzewelle, Druckwelle und radioaktive Strahlung und das Schicksal vieler Opfer dokumentiert. Das Museum ist gut besucht, sehr informativ und beeindruckend, aber auch sehr bedrückend.

Japan war im August 1945 militärisch praktisch besiegt, kämpfte aber verbissen weiter. Die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki sollten das Ende des Kriegs beschleunigen, weitere größere Verluste auf Seiten der USA vermeiden und damit vielen US-Soldaten das Leben retten, waren aber auch als Warnung an die Sowjetunion gedacht  und nicht zuletzt wollte man die Chance nutzen, die Wirkung einer Atombombe zu testen. Um diese Wirkung möglichst genau messen zu können, wählte die Militärführung der USA aus denjenigen japanischen Städten, deren Stadtkern größer als drei Meilen war, einige als mögliche Ziele aus und verbot weitere Luftangriffe auf diese Städte, um die von der Atombombe angerichteten Schäden nicht zu verfälschen. Auch Kyoto stand ursprünglich auf der Liste, weil seine Lage in einem Talkessel die Auswirkungen der Explosion noch verstärkt hätte. Der Einsatz der Bombe sollte nämlich ohne Vorwarnung und ohne Rücksicht auf zivile Opfer erfolgen, um eine größtmögliche psychologische Wirkung zu erzielen. Auf Drängen des US-Kriegsministers, der die Stadt einst auf seiner Hochzeitsreise besucht hatte und um ihre kulturelle Bedeutung wusste, wurde Kyoto wieder von der Liste gestrichen und durch Nagasaki ersetzt. 

Hiroshima war bisher weitgehend von Bombardierungen verschont geblieben, also ein „ideales“ Gelände, um die Auswirkungen der Bombe zu testen und zu analysieren, und von den ausgewählten Städten die einzige, in der sich kein Kriegsgefangenenlager mit Soldaten der Alliierten befand. So kam es, dass am Ende Hiroshima das Ziel der ersten je eingesetzten Atombombe wurde. Am Morgen des 6. August 1945 entdeckte das japanische Frühwarnradarsystem um 7 h Ortszeit einige feindliche Flugzeuge im japanischen Luftraum, in mehreren Städten, darunter Hiroshima, wurde daraufhin Alarm ausgelöst. Um kurz vor 8 h wurde der Alarm in Hiroshima wieder aufgehoben, weil man erkannte, dass die Anzahl der sich nähernden Flugzeuge nicht mehr als drei betrug. Um 8.15 h fiel dann die Bombe.

All das ist in dem Museum sehr sachlich dokumentiert. Bedrückend ist der Teil der Ausstellung, wo es um die Opfer der Katastrophe geht und die Langzeitschäden durch radioaktive Verstrahlung. Zahlreiche Einzelschicksale sind hier bewegend dokumentiert. Zum Zeitpunkt der Explosion hielten sich viele Schüler und Schülerinnen der oberen Klassen in der Nähe des Hypozentrums auf. Sie waren mobilisiert worden, um Häuser für Feuerschneisen einzureißen.  Die Eltern suchten in den ausgebrannten Ruinen nach ihren Kindern und konnten sie oft nur noch anhand von Kleidungsstücken oder Resten von Habseligkeiten identifizieren. Schlimm sind auch die Fotos von den schweren Verbrennungen und den Folgen der radioaktiven Strahlung. Zu den akuten Symptomen, die in relativ kurzer Zeit nach der Explosion auftraten, gehörten unter anderem Fieber, Übelkeit, Durchfall, Blutungen, Haarausfall und allgemeine Schwäche, in deren Folge viele Menschen starben. Spätfolgen traten zwei oder drei, manchmal sogar 10 Jahre oder noch später auf. Selbst heute sterben jährlich geschätzte 2500 Personen an den Folgen der Strahlung.

Besonders bewegend ist das Schicksal der kleinen Sadako, die zum Zeitpunkt des Atombombenabwurfs 2 ½ Jahre alt war. Zehn Jahre später erkrankte sie an strahlungsbedingter Leukämie. In der Hoffnung auf Heilung begann sie Origami-Kraniche zu falten. Kraniche gelten in Japan als Symbol für Gesundheit und Langlebigkeit und eine japanische Legende besagt, dass demjenigen, der 1000 Kraniche faltet, ein Wunsch erfüllt wird. Wie viele Kraniche Sadako tatsächlich gefaltet hat, ist unbekannt, aber 8 Monate später starb sie im Alter von erst 12 Jahren. Sadakos Kraniche sind teilweise im Museum ausgestellt. Origami-Papier war damals teuer, so benutzte sie Cellophan. Ihre letzten Kraniche waren so winzig, dass sie sie nur noch mit Hilfe von Stecknadeln falten konnte. Auf dem Gelände des Friedensparks gibt es eine Statue, die an Sadako erinnert. Sie ist eine der bekanntesten „Hibakushas“, wie die Überlebenden der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki in Japan genannt werden.

Auf dem Weg nach Miyajima lernen wir am nächsten Tag vor dem „Atombombendom“ Mito Kosei kennen, einen ehemaligen Englischlehrer, der zum Zeitpunkt der Atombombenexplosion noch im Mutterleib war. Seine Mutter war im 4. Monat schwanger mit ihm und erkrankte später an Krebs, konnte aber erfolgreich behandelt werden. Er selber war als Kind kränklich, trug aber ansonsten keine Schäden davon. Mito Kosei engagiert sich heute als freiwilliger Führer im Friedenspark und Aktivist gegen Atomwaffen. Er hat viel Material über die Ereignisse von damals gesammelt und kritisiert, dass sich im Museum nicht ein einziges kritisches Wort zu den USA findet, was aber andererseits auch nicht verwunderlich ist.  Japan hat keinerlei Freunde in seiner Nachbarschaft. Mit Russland gibt es Probleme wegen der Kurilen, die Beziehungen zu China und Süd-Korea sind wegen der japanischen Kriegsverbrechen ebenfalls belastet. Japan hat nur einen einzigen Verbündeten - die USA!    

Wir fahren weiter nach Miyajima, einem Inselchen ca. 20 km südwestlich von Hiroshima unmittelbar vor der Küste von Honshu, nur ein Abstecher für uns, eigentlich wollen wir Richtung Osten weiter. Auf Miyajima befindet sich der  Itsukushima-Schrein mit dem berühmten "schwimmenden" Torii davor. Zu jedem Shinto-Schrein gehört ein solches Torii (Eingangstor), das die Grenze zwischen der profanen und der sakralen Welt markiert. Das Besondere an diesem ist, dass es im Meereswasser steht - zumindest während der Flut. Die Fähre braucht nur 10 Minuten bis Miyajima, wir setzen mit unseren vollgepackten Rädern über und erregen einiges Aufsehen. Auf der Insel selber ist die Hölle los, so einen Touristenandrang haben wir hier noch nirgendwo erlebt. Das schwimmende Torii gehört zu den meistfotografierten Motiven Japans.

Es gibt unzählige Souvenirshops, Geschäfte mit traditionellen japanischen Süßigkeiten aus Reismehl, Restaurants.... Wir haben großes Glück - es ist gerade Flut und das Torii "schwimmt" tatsächlich, meist ist es nur von Schlamm umgeben. Die vielen Touristen stören uns nicht, wir beziehen am Sandstrand Stellung und genießen den Blick auf das Tor vor uns und den Schrein neben uns, der wie ein Pier konstruiert ist und ebenfalls im Wasser steht. Miyajima galt nämlich früher als heilig, einfache Bürger durften ihren Fuß nicht auf das Eiland setzen und gelangten mit Booten durch das schwimmende Torii zum Schrein. Während wir fotografieren und schauen, machen sich zahme Rehe, die hier auf Nahrungssuche durch die Straßen streifen, an unseren Fahrradtaschen zu schaffen. Sie riechen die Sushi, die wir uns zum Mittagessen gekauft haben, und lassen sich kaum verscheuchen.

Erst am späten Nachmittag sind wir wieder auf dem Rückweg nach Hiroshima und checken zum Erstaunen der Empfangsdamen erneut in unserem Hotel ein - heute Morgen sind wir ja erst abgereist, aber es macht keinen Sinn, jetzt noch weiterzufahren, wie wir es eigentlich geplant hatten.


Shikoku: Auf dem Weg zur Fähre nach Hiroshima finden wir diesen versteckten Übernachtungsplatz - ganz in der Nähe einer stark befahrenen Straße.


Unsere Ankunft in Hiroshima


Der Friedenspark in Hiroshima mit Kenotaph und "Atombombendom"


Am Kenotaph; im Hintergrund erkennt man die Kuppel des Atombombendoms.


Der Atombombendom in Hiroshima - Symbol der Zerstörung und Mahnmal für den Weltfrieden


Das Gebäude vor der Zerstörung durch die Atombombe am 6. August 1945


Im Friedensmuseum von Hiroshima (1): 
Die rote Kugel zeigt, wo genau die Bombe explodiert ist - hoch über der Stadt, 
um die Schäden durch die Druckwelle zu maximieren.


Im Friedensmuseum (2): Diese Armbanduhr eines Opfers 
ist zum Zeitpunkt der Explosion um 8.15 Uhr stehengeblieben.


Im Friedensmuseum (3): Bilder von der völlig zerstörten Stadt, davor Gegenstände aus Stein und Porzellan, durch die Hitzeentwicklung bei der Explosion der A-Bombe z.T. geschmolzen.



Im Friedensmuseum (4): Völlig verstörte und oft schwer verletzte Menschen irren nach der Explosion durch die zerstörte Stadt.


Im Friedensmuseum (5): Schreckliche Bilder von Menschen mit schwersten Verbrennungen.


Im Friedensmuseum (6): Bereits am Nachmittag des 6. August nimmt dieser 
verletzte Polizist Schadensmeldungen auf.


Im Friedensmuseum (7): Sadakos Kraniche


Heute ist Hiroshima eine ganz normale japanische Großstadt. 
Die Hondori Straße war auch schon vor 1945 die zentrale Einkaufsmeile im Stadtzentrum.


Was für ein Zufall! Beim Frühstück in unserem Hotel in Hiroshima
treffe ich  meinen ehemaligen Schüler Andreas Koyama,
der hier eine deutsche Reisegruppe leitet!


Wir treffen den Atombombenüberlebenden und pensionierten Lehrer Mito Kosei.
Als er hört, dass wir Kollegen sind, schenkt er uns ein Stück 
eines Dachziegels mit Schmelzspuren, verursacht von der Explosionshitze.


Das Torii des Itsukushima-Schreins im Meer vor Miyajima -
vielleicht das bekannteste Wahrzeichen Japans 


Da müssen natürlich unsere Räder mit aufs Bild!


Die fünfstöckige Pagode von Miyajima mit Kirschblüte