31.3.2013 bis 3.4.2013
Unser nächstes Ziel nach Beppu ist die Hafenstadt Hiroshima auf
der größten japanischen Insel Honshu. Um den Großraum dieser Millionenmetropole
zu umgehen, der mit dem Rad sicher kein Vergnügen ist, nehmen wir zwei Fähren,
einmal von Beppu nach Shikoku, der kleinsten der vier japanischen Hauptinseln,
dann von Shikoku nach Honshu. Dazwischen radeln wir einen Tag auf Shikoku, um
von einem Hafen zum anderen zu gelangen.
Die Fähren sind wirklich angenehm, man kann sich zurücklehnen, ein
bisschen dösen, lesen oder am Blog arbeiten…. Außerdem lernen wir auf diese
Weise Japan endlich als das kennen, was es ist: ein Inselstaat. Bei unseren
ersten beiden Aufenthalten haben wir nämlich nur Honshu “beradelt“, unsere
dritte Japanreise ist durch das Inselhüpfen ganz anders und wieder eine völlig
neue Erfahrung.
In Hiroshima bleiben wir im Toyoko Inn am sogenannten
Friedensboulevard, wo auch die Gedenkstätten zum Atombombenabwurf liegen. Am
Tage unserer Ankunft haben wir gerade noch Zeit, zum Friedenspark zu gehen, der
an den 6. August 1945 erinnert, als Hiroshima das Ziel der ersten Atombombe
wurde. Um 8.15 h klinkte der amerikanische Pilot Paul Tibbets in dem Bomber
„Enola Gay“, den er nach seiner Mutter benannt hatte, die Bombe „Little Boy“
aus. „Little Boy“ – „Kleiner Junge“ wurde die Bombe übrigens deswegen genannt,
weil sie letztendlich kürzer ausfiel, als es die ursprüngliche Konstruktion
vorsah - eine ziemlich zynische Bezeichnung angesichts des Leids, das sie
über die Bewohner Hiroshimas brachte und so menschenverachtend wie alles, was
mit dieser Bombe zusammenhängt.
Mit einem grellen Blitz detonierte „Little Boy“ 580 m über dem
Boden, ungefähr dort, wo sich heute der Friedenspark befindet. Ein riesiger
Feuerball bildete sich, mit einer Innentemperatur von über einer Million Grad
Celsius. Die intensive Hitzestrahlung und die Druckwelle zerstörten und
verbrannten nahezu alle Gebäude (die meisten waren aus Holz) in einem Umkreis
von 2 km vom Hypozentrum und vernichteten ca. 80 % der Stadtfläche. Hiroshima,
heute eine Millionenmetropole, hatte damals weitaus weniger Einwohner, zum
Zeitpunkt der Explosion hielten sich etwa 350.000 Menschen in der Stadt auf,
ca. 90.000 wurden sofort getötet, weitere ca. 90.000 starben bis Jahresende
1945 an den Folgen der radioaktiven Strahlung (die Angaben über die Anzahl der
Opfer schwanken). Bei Menschen, die sich sehr nahe am Hypozentrum aufhielten,
verdampften buchstäblich die obersten Hautschichten, der gleißende Blitz
brannte Schattenrisse von Personen in Stein, ehe sie von der Druckwelle
weggeschleudert wurden.
Das Gelände des Friedensparks können wir uns gerade noch beim
letzten Tageslicht anschauen. Hier befinden sich zahlreiche Denkmäler, z.B. das
Kenotaph („Scheingrab“) mit den Namen aller bekannten Opfer der Atombombe. Die
bogenförmige Konstruktion symbolisiert einen Schutzraum für die Seelen der
Toten. Durch das Kenotaph hindurch kann man die „Flamme des Friedens“ sehen,
die nicht gelöscht werden soll, solange noch Atomwaffen auf der Erde
existieren, und den „Atombombendom“, der vom Friedenspark aus gesehen auf der
anderen Flussseite liegt. Das Gebäude diente als Sitz der Industrie- und
Handelskammer, bevor fast direkt darüber die Atombombe explodierte. Es brannte
völlig aus, aber viele Gebäudestrukturen blieben erhalten, u.a. die
charakteristische Stützkonstruktion des Kuppeldachs, der das Denkmal seinen
heutigen Namen verdankt. In Erinnerung an den tragischen Tag, an dem innerhalb
eines Augenblicks die Stadt nahezu vollkommen zerstört wurde, ließ man die
Ruinen stehen. Der „Gembaku Domu“, wie er auf Japanisch heißt, seit 1996
UNESCO-Welterbestätte, ist Hiroshimas Symbol der Zerstörung und ein Mahnmal des
Friedens.
Am nächsten Tag schauen wir uns das Friedensmuseum an, das die
Geschichte der Atombombe, die Hintergründe bis zum Abwurf auf Hiroshima, die
Schäden durch Hitzewelle, Druckwelle und radioaktive Strahlung und das
Schicksal vieler Opfer dokumentiert. Das Museum ist gut besucht, sehr
informativ und beeindruckend, aber auch sehr bedrückend.
Japan war im August 1945 militärisch praktisch besiegt, kämpfte aber verbissen weiter. Die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki sollten das Ende des Kriegs beschleunigen, weitere größere Verluste auf Seiten der USA vermeiden und damit vielen US-Soldaten das Leben retten, waren aber auch als Warnung an die Sowjetunion gedacht und nicht zuletzt wollte man die Chance nutzen, die Wirkung einer Atombombe zu testen. Um diese Wirkung möglichst genau messen zu können, wählte die Militärführung der USA aus denjenigen japanischen Städten, deren Stadtkern größer als drei Meilen war, einige als mögliche Ziele aus und verbot weitere Luftangriffe auf diese Städte, um die von der Atombombe angerichteten Schäden nicht zu verfälschen. Auch Kyoto stand ursprünglich auf der Liste, weil seine Lage in einem Talkessel die Auswirkungen der Explosion noch verstärkt hätte. Der Einsatz der Bombe sollte nämlich ohne Vorwarnung und ohne Rücksicht auf zivile Opfer erfolgen, um eine größtmögliche psychologische Wirkung zu erzielen. Auf Drängen des US-Kriegsministers, der die Stadt einst auf seiner Hochzeitsreise besucht hatte und um ihre kulturelle Bedeutung wusste, wurde Kyoto wieder von der Liste gestrichen und durch Nagasaki ersetzt.
Hiroshima war bisher weitgehend von Bombardierungen verschont
geblieben, also ein „ideales“ Gelände, um die Auswirkungen der Bombe zu testen
und zu analysieren, und von den ausgewählten Städten die einzige, in der sich
kein Kriegsgefangenenlager mit Soldaten der Alliierten befand. So kam es, dass
am Ende Hiroshima das Ziel der ersten je eingesetzten Atombombe wurde. Am
Morgen des 6. August 1945 entdeckte das japanische Frühwarnradarsystem um 7 h
Ortszeit einige feindliche Flugzeuge im japanischen Luftraum, in mehreren
Städten, darunter Hiroshima, wurde daraufhin Alarm ausgelöst. Um kurz vor 8 h
wurde der Alarm in Hiroshima wieder aufgehoben, weil man erkannte, dass die
Anzahl der sich nähernden Flugzeuge nicht mehr als drei betrug. Um 8.15 h fiel
dann die Bombe.
All das ist in dem Museum sehr sachlich dokumentiert. Bedrückend
ist der Teil der Ausstellung, wo es um die Opfer der Katastrophe geht und die
Langzeitschäden durch radioaktive Verstrahlung. Zahlreiche Einzelschicksale
sind hier bewegend dokumentiert. Zum Zeitpunkt der Explosion hielten sich viele
Schüler und Schülerinnen der oberen Klassen in der Nähe des Hypozentrums auf.
Sie waren mobilisiert worden, um Häuser für Feuerschneisen einzureißen.
Die Eltern suchten in den ausgebrannten Ruinen nach ihren Kindern und konnten
sie oft nur noch anhand von Kleidungsstücken oder Resten von Habseligkeiten
identifizieren. Schlimm sind auch die Fotos von den schweren Verbrennungen und
den Folgen der radioaktiven Strahlung. Zu den akuten Symptomen, die in relativ
kurzer Zeit nach der Explosion auftraten, gehörten unter anderem Fieber,
Übelkeit, Durchfall, Blutungen, Haarausfall und allgemeine Schwäche, in deren
Folge viele Menschen starben. Spätfolgen traten zwei oder drei, manchmal sogar
10 Jahre oder noch später auf. Selbst heute sterben jährlich geschätzte 2500
Personen an den Folgen der Strahlung.
Besonders bewegend ist das Schicksal der kleinen Sadako, die zum
Zeitpunkt des Atombombenabwurfs 2 ½ Jahre alt war. Zehn Jahre später erkrankte
sie an strahlungsbedingter Leukämie. In der Hoffnung auf Heilung begann sie
Origami-Kraniche zu falten. Kraniche gelten in Japan als Symbol für Gesundheit
und Langlebigkeit und eine japanische Legende besagt, dass demjenigen, der 1000
Kraniche faltet, ein Wunsch erfüllt wird. Wie viele Kraniche Sadako tatsächlich
gefaltet hat, ist unbekannt, aber 8 Monate später starb sie im Alter von erst
12 Jahren. Sadakos Kraniche sind teilweise im Museum ausgestellt.
Origami-Papier war damals teuer, so benutzte sie Cellophan. Ihre letzten
Kraniche waren so winzig, dass sie sie nur noch mit Hilfe von Stecknadeln
falten konnte. Auf dem Gelände des Friedensparks gibt es eine Statue, die an
Sadako erinnert. Sie ist eine der bekanntesten „Hibakushas“, wie die
Überlebenden der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki in Japan genannt
werden.
Auf dem Weg nach Miyajima lernen wir am nächsten Tag vor dem
„Atombombendom“ Mito Kosei kennen, einen ehemaligen Englischlehrer, der zum
Zeitpunkt der Atombombenexplosion noch im Mutterleib war. Seine Mutter war im
4. Monat schwanger mit ihm und erkrankte später an Krebs, konnte aber
erfolgreich behandelt werden. Er selber war als Kind kränklich, trug aber
ansonsten keine Schäden davon. Mito Kosei engagiert sich heute als freiwilliger
Führer im Friedenspark und Aktivist gegen Atomwaffen. Er hat viel Material über
die Ereignisse von damals gesammelt und kritisiert, dass sich im Museum nicht
ein einziges kritisches Wort zu den USA findet, was aber andererseits auch
nicht verwunderlich ist. Japan hat keinerlei Freunde in seiner
Nachbarschaft. Mit Russland gibt es Probleme wegen der Kurilen, die Beziehungen
zu China und Süd-Korea sind wegen der japanischen Kriegsverbrechen ebenfalls
belastet. Japan hat nur einen einzigen Verbündeten - die
USA!
Wir fahren weiter nach Miyajima, einem Inselchen ca. 20 km
südwestlich von Hiroshima unmittelbar vor der Küste von Honshu, nur ein
Abstecher für uns, eigentlich wollen wir Richtung Osten weiter. Auf Miyajima
befindet sich der Itsukushima-Schrein mit dem berühmten
"schwimmenden" Torii davor. Zu jedem Shinto-Schrein gehört ein solches Torii (Eingangstor), das die Grenze zwischen der profanen
und der sakralen Welt markiert. Das Besondere an diesem ist, dass es im
Meereswasser steht - zumindest während der Flut. Die Fähre braucht nur 10
Minuten bis Miyajima, wir setzen mit unseren vollgepackten Rädern über und
erregen einiges Aufsehen. Auf der Insel selber ist die Hölle los, so einen
Touristenandrang haben wir hier noch nirgendwo erlebt. Das schwimmende
Torii gehört zu den meistfotografierten Motiven Japans.
Es gibt unzählige Souvenirshops, Geschäfte mit traditionellen japanischen
Süßigkeiten aus Reismehl, Restaurants.... Wir haben großes Glück - es ist
gerade Flut und das Torii "schwimmt" tatsächlich, meist ist es nur
von Schlamm umgeben. Die vielen Touristen stören uns nicht, wir beziehen am
Sandstrand Stellung und genießen den Blick auf das Tor vor uns und den Schrein
neben uns, der wie ein Pier konstruiert ist und ebenfalls im Wasser steht.
Miyajima galt nämlich früher als heilig, einfache Bürger durften ihren Fuß
nicht auf das Eiland setzen und gelangten mit Booten durch das schwimmende
Torii zum Schrein. Während wir fotografieren und schauen, machen sich zahme
Rehe, die hier auf Nahrungssuche durch die Straßen streifen, an unseren
Fahrradtaschen zu schaffen. Sie riechen die Sushi, die wir uns zum Mittagessen
gekauft haben, und lassen sich kaum verscheuchen.
Erst am späten Nachmittag sind wir wieder auf dem Rückweg nach
Hiroshima und checken zum Erstaunen der Empfangsdamen erneut in unserem Hotel ein
- heute Morgen sind wir ja erst abgereist, aber es macht keinen Sinn, jetzt
noch weiterzufahren, wie wir es eigentlich geplant hatten.
Shikoku: Auf dem Weg zur Fähre nach Hiroshima finden wir diesen versteckten Übernachtungsplatz - ganz in der Nähe einer stark befahrenen Straße.
Unsere Ankunft in Hiroshima
Der Friedenspark in Hiroshima mit Kenotaph und "Atombombendom"
Am Kenotaph; im Hintergrund erkennt man die Kuppel des Atombombendoms.
Der Atombombendom in Hiroshima - Symbol der Zerstörung und Mahnmal für den Weltfrieden
Das Gebäude vor der Zerstörung durch die Atombombe am 6. August 1945
Im Friedensmuseum von Hiroshima (1):
Die rote Kugel zeigt, wo genau die Bombe explodiert ist - hoch über der Stadt,
um die Schäden durch die Druckwelle zu maximieren.
Im Friedensmuseum (2): Diese Armbanduhr eines Opfers
ist zum Zeitpunkt der Explosion um 8.15 Uhr stehengeblieben.
Im Friedensmuseum (3): Bilder von der völlig zerstörten Stadt, davor Gegenstände aus Stein und Porzellan, durch die Hitzeentwicklung bei der Explosion der A-Bombe z.T. geschmolzen.
Im Friedensmuseum (4): Völlig verstörte und oft schwer verletzte Menschen irren nach der Explosion durch die zerstörte Stadt.
Im Friedensmuseum (5): Schreckliche Bilder von Menschen mit schwersten Verbrennungen.
Im Friedensmuseum (6): Bereits am Nachmittag des 6. August nimmt dieser
verletzte Polizist Schadensmeldungen auf.
Im Friedensmuseum (7): Sadakos Kraniche
Heute ist Hiroshima eine ganz normale japanische Großstadt.
Die Hondori Straße war auch schon vor 1945 die zentrale Einkaufsmeile im Stadtzentrum.
Was für ein Zufall! Beim Frühstück in unserem Hotel in Hiroshima
treffe ich meinen ehemaligen Schüler Andreas Koyama,
Wir treffen den Atombombenüberlebenden und pensionierten Lehrer Mito Kosei.
Als er hört, dass wir Kollegen sind, schenkt er uns ein Stück
Als er hört, dass wir Kollegen sind, schenkt er uns ein Stück
eines Dachziegels mit Schmelzspuren, verursacht von der Explosionshitze.
Das Torii des Itsukushima-Schreins im Meer vor Miyajima -
vielleicht das bekannteste Wahrzeichen Japans
Da müssen natürlich unsere Räder mit aufs Bild!
Die fünfstöckige Pagode von Miyajima mit Kirschblüte