Samstag, 18. Mai 2013

Japan 5: Auf Shikoku

7.4.2013  bis  13.4.2013


Wir verbringen zwei angenehme Tage in Matsuyama, der größten Stadt auf der Insel Shikoku. Der Ort gefällt uns richtig gut, er hat ein gewisses Flair, mit der Matsuyama-Burg, die sich malerisch auf einem Hügel mitten im Stadtzentrum erhebt und die wir von unserem Hotelzimmer aus sehen können. Wir schauen uns die Burg an, leider ist die Kirschblüte schon vorbei, aber immer noch picknicken viele Japaner unter den verblühten Bäumen, obwohl es nach einem Temperatursturz winterlich kalt geworden ist. In Matsuyama befindet sich außerdem eines der ältesten Thermalbäder Japans, das Dogo-Onsen. Das dreistöckige Holzgebäude ist schon von außen eine Augenweide, ein Bad ist natürlich ein Muss. Das Dogo-Onsen hat vier verschiedene Preisklassen, man kann sich nach dem Bad auch noch Tee und japanische Süßigkeiten in einem Tatami-Raum servieren lassen, das kostet natürlich mehr.  Ein öffentliches japanisches Bad ist übrigens sehr speziell, man sitzt mit anderen zusammen in einem Becken und wäscht sich aus diesem Grund, bevor man im Adamskostüm ins Wasser steigt. Auch in Privathaushalten, wo man dasselbe Badewasser hintereinander benutzt, ist das so: Erst in einer Art Vorraum waschen, dann in die Wanne und entspannen. Die japanische Onsenkultur ist etwas ganz Besonderes. Man könnte allein einen ganzen Urlaub damit verbringen, verschiedene Onsen zu besuchen. Es gibt nämlich ganz verschiedenartige, unter freiem Himmel, versteckt in den Bergen etc. etc.
  
Durch Shikoku verläuft ein uralter Pilgerweg, ca. 1200 km lang und an 88 Tempeln vorbei. Einige davon befinden sich in Matsuyama, z.B. der Ishite-Tempel, den wir uns anschauen, als gerade eine Pilgergruppe eintrifft, die allerdings mit dem Bus angereist ist. Wir haben unterwegs aber auch wandernde Pilger gesehen. Sie sind leicht zu erkennen an ihrem typischen Gewand und dem charakteristischen runden Pilgerhut. Unverdrossen stapften sie im Regen die stark befahrene Straße entlang, der größte Teil des Weges ist so geführt – da würde ich vielleicht auch lieber in einen Bus steigen.  Aber mit dem Rad könnte man diese Pilgerreise einmal machen, das wäre ein Projekt für den nächsten Japan-Urlaub -  diesmal haben wir eine Tour ins Iya-Tal im Zentrum der Insel geplant.  Shikoku hat viele Gipfel von fast 2000 m Höhe, es wird also wieder anstrengend, aber das reizt uns ja gerade. Dass Japan ein Land der Gegensätze ist, erleben wir auch hier wieder hautnah: Hinter Matsuyama müssen wir uns noch lange durch dichten Verkehr kämpfen, dann biegen wir Richtung Berge ab und befinden uns nach nur ein paar Kilometern in einer völlig anderen Welt. Über einen niedrigen Pass erreichen wir ein tief eingeschnittenes Tal. An den steilen Berghängen kleben verstreut Häuser, das erinnert mich irgendwie an die Alpen. Wir fahren unten im Talgrund in leichtem Auf und Ab über ein ganz schmales Sträßchen, auf dem kaum Autos unterwegs sind. Verrückt! Eben haben wir noch über die Autos geflucht und sind an einem Supermarkt nach dem anderen vorbeigefahren. Jetzt versorgen wir uns für den Abend in einem Dorfladen, in dem eine alte Dame freundlich lächelnd auf einer Tatamimatte sitzt, um sie herum stapeln sich in chaotischem Durcheinander die Waren.

Das abgelegene Iya-Tal im Osten Shikokus erreichen wir nach 1 ½ Tagen. Es ist von hohen Bergen umgeben, dicht bewaldet und sehr einsam. Wir fahren über die alte Straße Nr. 32 in die Schlucht hinein, die dem Lauf des glasklaren Iya-Flüsschens folgt. In der ersten Nacht bleiben wir auf einem offiziellen Campingplatz, der eigentlich noch geschlossen ist, aber es ist unmöglich, in dem engen Tal anderswo einen geraden Platz für das Zelt zu finden. Am nächsten Tag haben wir auf der Weiterfahrt spektakuläre Blicke in die Schlucht. Landschaftlich ist es vielleicht unsere schönste Strecke in Japan. In Nishi Iya sind wir schon wieder aus der Schlucht heraus, aber es  bleibt auch weiterhin schön. Der Ort ist bekannt für die  „Kazura-bashi“, eine kunstvoll geflochtene Lianenhängebrücke. Die Flüsse in den Bergen von Shikoku waren früher häufig von solchen Brücken überspannt, heute gibt es nur noch einige wenige als Touristenattraktion. An der Brücke lernen wir Lois aus Österreich kennen, den einzigen ausländischen Reiseradler, den wir in Japan treffen, ebenfalls Lehrer und schon im 7. Sabbatjahr mit dem Fahrrad unterwegs. Leider hat es zu regnen begonnen. Später lichten sich die Wolken und wir können sehen, dass auf den Bergspitzen Neuschnee gefallen ist. An diesem Abend zelten wir auf ca. 800 m Höhe, in der Nacht friert es. Am nächsten Tag fahren wir über einen ca. 1300 m hohen Pass wieder aus den Bergen heraus, auf einer abenteuerlichen Straße, die teilweise in sehr schlechtem Zustand ist. Hier wohnt niemand mehr, aber in der Ferne hören wir das Hämmern von Maschinen, irgendwo hier oben läuft offenbar ein großes Bauprojekt zur „Panzerung“ der Natur.  Auf der Passhöhe beginnt es zu schneien. Die Abfahrt ist so steil, dass ich teilweise schiebe. Ich muss mir Plastiktüten über meine Handschuhe ziehen, so kalt ist es. Weiter unten fahren wir an verlassenen Häusern vorbei, auch in den Bergen von Kyushu haben wir das häufig gesehen. Um die noch bewohnten Häuser herum herrscht z.T.  ein unbeschreibliches Chaos. Sind wir hier wirklich in Japan, denken wir dann manchmal, dem Land mit den perfekt gestylten Häusern und gepflegten Gärten und den sorgfältig eingerichteten Tatami-Räumen? Aber die Unordnung in japanischen Haushalten ist offenbar genauso typisch. Wenn ich da nur an die Dorfläden denke oder an Frau Tani in Kyoto, die in ihrem vollgeplunderten Raum kaum Platz zum Sitzen hat. 

Je weiter wir abfahren, desto wärmer wird es und desto mehr Kleidungsstücke können wir ablegen. Ganz unten sind wir wieder zurück in der Welt des Konsums. Eigentlich mögen wir die einsamen Berge ja lieber, aber da oben gibt es keine Sushi…. Wir schaffen es noch am gleichen Tag bis zum Hafenort Takamatsu. Gegen Morgen, exakt um 5.33 h, wie wir später im japanischen TV sehen, beginnt das Hotel zu wackeln. Ein Erdbeben!!! Und wir sind im 10. Stock. Der Schreck dauert eine gefühlte Ewigkeit, in Wirklichkeit waren es wahrscheinlich nur ein paar Sekunden. Aus den Nebenzimmern hört man Geräusche, offenbar sind auch andere Hotelgäste wach geworden, aber niemand läuft schreiend auf den Flur und es wird auch kein Alarm ausgelöst. Trotzdem fühle ich mich danach in unserem Zimmer nicht mehr wohl. Das Beben hatte eine Stärke von 6,3 und ist Thema in den TV-Morgennachrichten, wo wir Aufnahmen  von zitternden Hochhäusern und Brücken sehen. 


Wir bleiben noch einen Tag in Takamatsu und schauen uns den schönen “Ritsurin-koen“ an, einen  Landschaftsgarten im japanischen Stil. Über 300 Kirschbäume stehen hier, leider alle schon verblüht, aber  der Garten ist auch so wunderschön. Ansonsten genießen wir nach den spartanischen Tagen in den Bergen wieder ausgiebig die japanische Küche. Die großen Supermärkte sind immer noch ein Erlebnis für uns. Hier werden den ganzen Tag über Speisen frisch zubereitet und dann abgepackt zum Verkauf angeboten: Okonomiyaki (eine Art Pfannkuchen), Takoyaki (cremige Teigbällchen mit einem Stück Oktopus darin), Tonkatsu (japanisches Schnitzel), Yakitori (gegrillte Spieße), eine Art Kroketten mit verschiedenen Füllungen, Tempura (Fisch oder Gemüse im Ausbackteig), Reisgerichte, Kartoffelsalat nach japanischer Art, leicht gesüßtes japanisches Rührei und, und….. Praktisch in jedem größeren Supermarkt gibt es eine Mikrowelle für die Kunden, wo man schnell mal etwas aufwärmen kann. Natürlich kommt auch immer wieder Nachschub an Sushi und Sashimi, die zu unseren Favoriten gehören. Tofu gibt es in vielen Variationen, ebenso Pilze, beides sehr billig. Überhaupt ist Japan viel günstiger als man im Allgemeinen so denkt. Natürlich kann man hier in kurzer Zeit viele Yen loswerden, aber es geht auch viel billiger.
Wir feiern in Takamatsu die im Iya-Tal erreichten 10.000 Kilometer nach – mit einer zünftigen Sushi-Mahlzeit.


Unsere Route durch die Seto-Inlandsee und Shikoku:

                     Shikoku und Inlandsee

StepMap Shikoku und Inlandsee




Die Burg von Matsuyama ist eine der am besten erhaltenen Burgen des Landes


Zusammen mit der Burgwache müssen wir "Matsuyama-jo" rufen ("Jo" ist Japanisch für "Burg").


Diese Japaner nutzen den Ausflug zur Burg für ein ausgiebiges Picknick. Dabei werden auch eine ganze Reihe großer Sake (= Reiswein) - Flaschen geleert.


Es gibt einen Riesenspaß, als ich mich beim Gruppenfoto mit ins Bild schmuggle. 
Dass wir aus "Doitsu" (= Deutschland) kommen, freut die Leute ganz besonders.


Im Burghof gibt es leckeres Matcha - Eis, aromatisiert mit feingemahlenem grünem Tee.


                    Das Dogo-Onsen ist eines der berühmtesten Badehäuser Japans


Wie bei allen Sehenswürdigkeiten in Japan gibt es in der Umgebung des Onsen 
eine Vielzahl von Geschenk- und Souvenirläden.


Pilger im Ishite -Tempel am Stadtrand von Matsuyama


                            Buddha-Statue mit rotem Lätzchen im Tempel



An den Tempeln können die Pilger buntbedruckte  Votivtäfelchen kaufen und dann mit einem Wunsch beschrieben aufhängen. Wenn kein Platz mehr ist, werden die Täfelchen abgenommen und rituell verbrannt. So steigen die Wünsche mit dem Rauch gen Himmel.


Schöner Wildzeltplatz an einem Park


Vor der Fahrt in die Berge Shikokus stärken wir uns mit Sushi, Süßkartoffel-Tempura, Kalamares-Ringen und einer leckeren Sahnecreme mit Früchten.


Diese Sushi - Varianten sind besonders originell - und lecker.


Aufstieg in die Berge auf kleinen, kaum befahrenen Straßen


Hier oben ist vom Frühling noch nicht allzu viel zu sehen 
- nur die wilden Azaleen blühen schon.


Leider auch typisch Japan: In den Bergen werden Steilhänge sehr oft mit unglaublich hässlichen, überdimensionierten Betonarmierungen versehen - angeblich, um Steinschlag und Erdrutsche zu verhindern. Meine Vermutung: Dahinter steckt der (bisher vergebliche) Versuch, über staatliche "Infrastrukturmaßnahmen" die seit dem Zusammenbruch der Bubble-Economy Anfang der 90er Jahre dahinsiechende Konjunktur anzukurbeln - das Ergebnis ist die mit Abstand höchste Staatsschuldenquote der Welt (245% des BIP für 2013)!


Der Campingplatz im Iya-Tal ist noch geschlossen, aber wir klettern 
über die Absperrung und bauen trotzdem unser Zelt auf. 


Schluchtstrecke im Iya-Tal, dem "japanischen Tibet"


Männeken Pis an der Iya-Schlucht


Iya-Schleife


"Kazura-bashi“ - die aus Lianen geflochtene Hängebrücke bei Nishi Iya


11.4.2013 an der Kazura-bashi: Wir haben 10.000 km geschafft.  


Und dieser Kollege hat das Bild oben gemacht: Lois Jäger aus Österreich, Hardcore-Radreisender, schon sieben(!) Sabbatjahre auf dem Fahrrad, hat gerade eine mehrmonatige Tour im südlichen Afrika hinter sich, jetzt in Japan unterwegs.
Er ist der einzige ausländische Reiseradler, den wir in Japan treffen - 
ausgerechnet hier im Iya-Tal, bei km 10.000 !!


Wir verlassen das Iya-Tal auf einer Nebenstrecke.


Auf dem Weg zum Pass


Passhöhe erreicht - es ist eiskalt, sogar ein paar Schneeflocken sind in der Luft.


Vor uns liegt eine Abfahrt von ca. 1300 Höhenmetern.


Bergdorf an der Strecke

In den Bergen sieht man häufig aufgegebene, baufällige Gebäude. 
In diesem Schuppen rostet ein VW Käfer 1302 - so ein Auto hatte ich auch schon mal. 


Bergbach auf unserer "Downhill"-Strecke


Völlig durchgefroren kommen wir weiter unten im Tal an.


In Japan findet man auf der Deichkrone größerer Flüsse z.T. gut ausgebaute Radwege
 - wir müssen aber leider in eine andere Richtung.


Bildhauer-Werkstatt kurz vor Takamatsu


Der Ritsurin-koen in Takamatsu gilt als einer der schönsten 
historischen Landschaftsgärten in Japan.



Ritsurin-koen (2): Besucher lassen sich durch den Garten rudern.



Ritsurin-koen (3)



13.4.2013  Schreck am frühen Morgen: Heftiges Erdbeben in Japan, Stärke 6,3 auf der Richter-Skala, und wir (fast) am Epizentrum, ausgerechnet im 10. Stock des Toyoku Inn in Takamatsu. Das Hotel schwankt eine gefühlte Ewigkeit lang.
http://www.japantoday.com/category/national/view/m6-quakes-hits-western-japan



In Takamatsu feiern wir die "10.000" nachträglich mit einem landestypischen Abendessen.
Im Uhrzeigersinn von unten:
 Japanisches "Tonkatsu"-Schnitzel (zwei Stücke fehlen schon :-)), 
13 verschiedene Sushi (beim Transport auf dem Fahrrad z.T.  etwas verrutscht), 
Inari-Sushi, Macadamia-Nüsse mit Schokoladenüberzug (als Nachtisch),
zwei Sorten Sashimi (Lachs und Weißer Thunfisch). Als Aperitif und zum Nachspülen: Reiswein /Sake (im Tetrapack, hier absolut üblich auch für hochpreisige Weine).