Samstag, 20. September 2014

Rund um Deutschland 3.3: Bis Dresden

Von Flossenbürg nach Dresden  

30.7.2014  bis  2.8.2014

210,62 km        
1299 Höhenmeter

Weitgehend flach fahren wir über den Vizinalbahn-Radweg und Wondreb-Radweg nach Waldsassen, wo wir uns die barocke Stiftsbasilika ansehen, die 1969 von Papst Paul VI. zur „Basilica minor“ erhoben wurde, ein Ehrentitel für besonders bedeutende Kirchengebäude. In der Kirche befindet sich eine bemerkenswerte Sammlung von Katakombenheiligen. Das sind unbekannte Personen aus der Zeit des frühen Christentums, deren Gebeine seit dem 16. Jahrhundert in großer Zahl aus den Katakomben Roms entfernt und von der katholischen Kirche pauschal zu Märtyrern erklärt wurden. Diese Skelette wurden insbesondere in die deutschsprachigen Gebiete nördlich der Alpen als Reliquien verkauft, kostbar eingekleidet und geschmückt und in Schausärgen für die Gläubigen ausgestellt, sieht ziemlich gruselig aus. Die Orgel ist eine der größten in Europa und wird gerade gestimmt, aber selbst das klingt noch schön.

Wir machen auch noch den kurzen, steilen Abstecher zur Wallfahrtskirche Kappl, die ziemlich fotogen auf dem 628 m hohen Glasberg liegt. Die Kirche beeindruckt durch ihre besondere Architektur und Ausstattung, die die Dreifaltigkeit symbolisieren soll. Praktisch in allem dominiert hier die Zahl Drei: Drei Kreise, die sich überschneiden, bilden den kleeblattartigen Grundriss, das Gebäude hat drei Türme und Dachreiter, drinnen findet man drei mal drei Altäre etc. Die ursprünglichen drei Deckengemälde wurden durch einen Brand zerstört und zwischen 1934 und 1940 von dem Maler Oskar Martin-Amorbach, der im 3. Reich ziemlich populär war (Hitler erstand mehrere Bilder von ihm), neu geschaffen. Die Affinität zu den Nazis erklärt wohl auch, dass Martin in die Deckengemälde Wehrmachtssoldaten als Motiv aufnahm, ziemlich bizarr, weil solche Soldaten so gar nicht in eine Kirche passen wollen......

Waldsassen liegt unmittelbar an der tschechischen Grenze, bis Cheb (deutsch: Eger) ist es auf dem Wallenstein-Radweg nicht mehr weit. Cheb ist bekannt für seine malerische Altstadt, und das zu Recht. V.a. der lang gezogene Marktplatz mit den vielen historischen Gebäuden und dem sogenannten Stöckl auf dem unteren Teil ist sensationell. Der Stöckl ist ein Komplex aus 11 schmalen, hohen Kaufmannshäusern, teilweise in Fachwerk, die zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert entstanden und durch die enge, nur 160 cm breite Krämergasse in zwei Blöcke geteilt werden – einmalig und wunderschön. Es gibt noch viel mehr zu sehen in Cheb, aber wir bleiben nur eine Nacht. Leider gehört zu unserem Hotel gleich um die Ecke vom Marktplatz auch eine Kneipe, aus der bis zum frühen Morgen laute Musik ertönt.                    

Cheb liegt an der Ohre (dt. Eger), bis zur Mündung in die Elbe in Litomorice wollen wir jetzt dem Eger-Radweg folgen. Wir sind überrascht, wie gut ausgebaut und beschildert der fast durchweg asphaltierte Radweg ist. So fahren wir ziemlich entspannt und fast ausschließlich flach bei sehr gutem Wetter nach Karlsbad. In Loket machen wir Mittagspause. Der Ort liegt auf einem Granitrücken hoch über der Eger, die hier eine fast kreisrunde Schleife bildet, und hat eine sehr sehenswerte, denkmalgeschützte Altstadt, die von der mächtigen alten Burg gleichen Namens dominiert wird. Am Ortseingang steht eine Goethe-Statue mit einem Hinweis auf Ulrike von Levetzow. Der Dichter weilte oft in Böhmen, v.a. zum Kuren in Karlsbad und Marienbad, aber auch in Loket. 1823 verliebte er sich in die 19jährige Ulrike von Levetzow, mit der er hier seinen 74. Geburtstag feierte, und hielt um ihre Hand an - sie lehnte ab. „Das Fräulein hätte noch gar keine Lust zu heiraten“ ließ sie ihm diplomatisch mitteilen. So hielt sie es ihr ganzes Leben lang – als sie 95jährig starb, war sie immer noch unverheiratet. Goethe jedoch drückte seinen Schmerz über die Abweisung in seiner berühmten Marienbader Elegie aus....


Am Nachmittag erreichen wir Karlovy Vary , zu deutsch Karlsbad. Wie im gesamten Grenzbereich siedelten hier früher fast ausschließlich Sudetendeutsche, die nach dem Ende des 2. Weltkrieges enteignet und vertrieben wurden, ca. 3 Millionen waren davon betroffen. Leider nehmen wir uns nicht genug Zeit für den traditionsreichen Bäderort mit seinen prächtigen Kurhäusern, wir wollen heute noch bis Klasterec nad Ohri, den nächsten größeren Ort, ca. 35 km entfernt. Leicht zu schaffen, wenn es so flach und gut ausgebaut weitergeht, denken wir, es ist ja erst 17 Uhr. Aber hinter Karlsbad verändert der Eger-Radweg völlig seinen Charakter. Steil geht es aus dem Tal der Eger heraus, dann über die Höhen, mit tollen Blicken zum Erzgebirge hinüber, und wieder hinunter zum Fluss, auf einem ganz schmalen, kaum befahrenen Sträßchen, das ist ein wunderschöner Abschnitt. Die Strecke bleibt anstrengend, wir fahren oberhalb des Eger-Tals und haben noch viele Steigungen. Am Ende verliert sich dann der Asphalt, wir finden uns auf einem teilweise übel verschlammten und grobsteinigen Weg wieder, der eher für Mountainbikes geeignet wäre, außerdem geht´s auch noch rauf und runter. Hier kann man nur noch schieben, das kostet Zeit. Deshalb verlassen wir in Straz nad Ohri den „Radweg“, der eigentlich gar keiner mehr ist, und nehmen die normale Straße, auf der leider auch zu dieser späten Stunde noch sehr viele Autos und Lkws sehr schnell unterwegs sind. Klasterec erreichen wir heute nicht mehr und alle Hotels, die davor auf unserer Karte verzeichnet sind, haben entweder geschlossen oder existieren nicht. Wir hatten natürlich auf eine nette Unterkunft und ein Abendessen im Restaurant gehofft – stattdessen gibt es unsere asiatischen „Notsuppen“, auch okay, und unser Zelt steht hinter einem kleinen Ort vor einem großen Misthaufen, aber immerhin auf einer Anhöhe mit einem ganz tollen offenen Blick. Am nächsten Morgen brauchen wir, wieder zurück auf der Eger-Route, für die letzten 8 km bis Klasterec fast eine Stunde, so schlecht und schwierig ist der Untergrund. 


Auf der Suche nach einer Frühstücksmöglichkeit passiert es dann: Das Schaltauge an Gerolds Fahrrad bricht – „Ende der Reise“, kündigt Gerold zu meinem Entsetzen an. Immerhin kann er das Rad noch so richten, dass es sich schieben lässt, und wir haben Glück im Unglück: Klasterec hat nämlich einen Bahnhof. Der Entschluss ist schnell gefasst: Wir nehmen die Bahn nach Dresden, wo wir um 16 Uhr ankommen und schnurstracks zu dem Patria-Händler fahren/rollern, zu dem Gerold schon unterwegs Kontakt aufgenommen hatte. Die haben zwar das passende Ersatzteil nicht vorrätig, schaffen es aber irgendwie, das Rad wieder fahrtüchtig zu machen. Super! In Dresden ist nicht nur wegen des Traumwetters die Hölle los – heute Abend findet am Elbufer die „Kaisermania“ statt, ein Kultkonzert mit Roland Kaiser, das es seit 2003 gibt und zu dem jedes Jahr die Damenwelt von weither nach Dresden strömt.... Wir haben deshalb sehr großes Glück, dass wir trotzdem noch ein Zimmer in einer Bett&Bike Pension unweit des Zentrums bekommen, weil ein Gast abgesagt hat. Gestern noch am Misthaufen, heute in einem schicken Zimmer – eine Radreise ist voller Überraschungen!

In Dresden waren wir schon einmal zu DDR-Zeiten - und vor drei Jahren für ein paar Tage im Rahmen unserer Fahrradtour entlang der früheren inner- deutschen Grenze. Wir bleiben trotzdem noch einen Tag, das Wetter ist einfach zu einladend und die ganze Atmosphäre in der Stadt auch.


Unsere Route von Flossenbürg nach Dresden:


Sommer 2014, Teil 3




                 Naturschutzgebiet Waldnaab-Aue kurz hinter Tirschenreuth
StepMapSommer 2014, Teil 3


Wir sammeln Blaubeeren in einem Waldgebiet auf dem Wondreb-Radweg



Gruselig: Die Katakombenheiligen in der Stiftsbasilika in Waldsassen



Dito




Die Stiftsbasilika in Waldsassen



Bayern - ein Paradies für Radfahrer



Wallfahrtskirche Kappl kurz hinter Waldsassen



Bizarr: Wehrmachtssoldaten im Deckengemälde der Wallfahrtskirche



Die Wallfahrtskirche Kappl beeindruckt durch ihre besondere Architektur,
 die die Dreifaltigkeit symbolisieren soll.



Der schöne Marktplatz von Cheb (deutsch:Eger) mit dem Stöckl 
am unteren Ende. Stöckl und Platz haben sich im Vergleich zu 
früheren Zeiten kaum verändert. (siehe Fotos unten)


3. Oktober 1938 in Eger: Auf dem Marktplatz (im Hintergrund der mit Nazisymbolen "geschmückte" Stöckl) wird Hitler von der sudetendeutschen Bevölkerung begeistert empfangen. Die Abtretung des Sudetenlandes war am 30. September 1938 von Großbritannien, Frankreich, Italien und dem Deutschen Reich im Münchner Abkommen beschlossen worden. Hitler setzte sich vor allem dank der ständigen Beteuerungen durch, dies sei seine letzte territoriale Forderung. V.a. Großbritannien, vertreten durch Arthur Neville Chamberlain,  glaubte durch das Abkommen den Frieden in Europa gesichert zu haben, eine fatale Fehleinschätzung, denn Hitler setzte seine Kriegsvorbereitungen unbeirrt fort. Die Tschechoslowakei war zu dem Treffen in München übrigens nicht geladen, sie musste sich dem Abkommen fügen.



Da jubeln sie noch! Das bittere Ende sollte wenige Jahre später kommen: 
Nach 1945 wurden die etwa 3 Millionen Sudetendeutschen 
aus ihrer Heimat vertrieben.



Der Stöckl (tschechisch: Špalíček), das Wahrzeichen von Cheb, ist ein Komplex aus 11 schmalen, hohen Kaufmannshäusern, die durch die enge Krämergasse in zwei Blöcke geteilt werden.



Seitenansicht des Stöckl




Der obere Teil des Marktplatzes von Cheb



Unser Hotel in Cheb ist in einem schönen historischen Gebäude 
aus dem 15. Jahrhundert untergebracht.



Wir drehen eine letzte Runde auf dem Marktplatz von Cheb.



Loket an der Ohre (dt. Elbogen an der Eger) mit seiner beeindruckenden Burg



Goethe-Statue in Loket/Elbogen: Goethe feierte hier seinen 
74. Geburtstag in Begleitung von Frau von Levetzow und ihrer Töchter.
 Er verliebte sich in die blutjunge Ulrike von Levetzow und hielt 
um ihre Hand an, aber ohne Erfolg, was angesichts 
des Altersunterschieds nicht verwunderlich war.......



Der traditionsreiche Kurort Karlovy Vary (dt. Karlsbad) mit seinen vielen historischen Gebäuden im Jugendstil und Klassizismus.



Dito



Unser Übernachtungsplatz am Misthaufen nahe dem Dorf Smilov 
(dt. Mühlendorf), ca. 10 km vor Klášterec nad Ohří (dt.: Klösterle an der Eger)



Das hatten wir nicht geplant: Eine Fahrradpanne zwingt uns, von
Klášterec nad Ohří mit dem Zug nach Dresden zu fahren.



    Traumwetter in Dresden: Rechts hinten die Frauenkirche, links hinten die 
      prächtige Kunstakademie. Die Frauenkirche galt als der bedeutendste 
   Steinkuppelbau nördlich der Alpen, bevor sie nach der Bombennacht vom 
   13./14. Februar 1945 einstürzte. Als Symbol der Versöhnung stellten auch
    Großbritannien und die USA finanzielle Mittel für den Wiederaufbau zur 
         Verfügung. Am 30. Oktober 2005 wurde sie erneut geweiht.
 


13. Februar 1945: Nachdem britische und amerikanische Bomber ihre tödliche Last über Dresden abgeworfen hatten, bot sich den Einwohnern ein grausiges Bild: Mehr als 25.000 Tote und 20.000 Schwerverwundete. Dresden war vollkommen zerstört. Von der Frauenkirche blieben zwei Stümpfe und ein elf Meter hoher Trümmerberg (im Bild hinten links).





                Bei unserem Besuch in der DDR Mitte der Siebziger Jahre 
                    haben wir die Frauenkirche noch als Ruine gesehen,
                         laut SED ein "Mahnmal für den Frieden".



       Die Altstadtkulisse - von links nach rechts: Die Kunstakademie an
    der Brühlschen Terrasse, das Schloss, die Frauenkirche, die Kathedrale, 
               ganz rechts die Semperoper und die Augustusbrücke.




                                            Im Zwingerhof 
       mit seinen prachtvoll gestalteten Gartenanlagen und Wasserspielen.




                 Wir dürfen sogar die Räder in den Zwingerhof mitnehmen.




                                       Vor der Semperoper



          So bedankte sich die DDR bei den "Bauschaffenden" der Republik




Der goldene Reiter in der Neustadt: Das Reiterstandbild zeigt den sächsischen und polnischen König August den Starken. Das Denkmal wurde 1943/44 zerlegt und ausgelagert und entging so der Zerstörung.