Sonntag, 16. Juni 2013

Kalifornien 1: Von San Francisco nach Monterey

1.5.2013  bis   8.5.2013


Wir fliegen am 1. Mai um 12.10 h aus Japan ab und landen nach einem Flug von ca. 13 Stunden mit einem Zwischenstopp in Seoul am 1. Mai um 12 h in San Francisco, erleben also den 1. Mai quasi zweimal und haben einen ganzen Tag gewonnen. Des Rätsels Lösung: Wir haben bei dem Flug die Datumsgrenze überquert. Erst im letzten Moment haben wir das bemerkt und unsere Gastgeber Winnie und Bruce informiert, dass wir nicht am 2. Mai, sondern schon am 1. Mai in Kalifornien ankommen. Winnie holt uns vom Flughafen ab – nach einem so langen Flug und einer schlaflosen Nacht ist das einfach nur wunderbar. Auch das Wetter ist traumhaft: wolkenlos blauer Himmel, richtig heiß. Nach den vielen grauen Wochen in Japan kommt uns so viel Licht und Sonne geradezu merkwürdig vor.

Den ersten Tag verbringen wir im Haus der Familie in Los Altos, am südlichen Ende der Francisco Bay. Am nächsten Morgen bringt uns Bruce samt den immer noch verpackten Rädern nach Sausalito, einen kleinen Ort, der u.a. bekannt für seine Hausbootkolonie ist, direkt an der Bay liegt und zu den Haupttouristenzielen hier gehört. Haus Nr. 2 der Familie steht in den Hügeln hoch über der Bay und bietet phantastische Blicke, auf das Meer, die Alcatraz-Insel und die Brücke, die hinüber nach Oakland führt. Die Golden Gate Bridge kann man von hier aus nicht sehen, sie liegt aber quasi um die Ecke. Am Abend essen wir vorzüglich in einem Fischrestaurant unten in Sausalito, Winnie ist mit dem Fahrrad zur Arbeit gefahren und jetzt aus dem Büro gekommen. Sie ist wie Bruce in unserem Alter und trainiert im Moment für den sogenannten „Death Ride“ Anfang Juli in den kalifornischen Alpen, bei dem auf über 200 km 5 Pässe mit ca. 4500 Höhenmetern innerhalb eines Tages bewältigt werden müssen – mit dem Rad natürlich. Wir sind sehr beeindruckt. 

Winnie und Bruce reisen am Freitag ins Wochenende, wir fahren mit der Fähre rüber nach San Francisco. Wir kennen die Stadt schon von zwei früheren Besuchen, der letzte liegt allerdings schon 14 Jahre zurück. Das Zentrum ist nett, mit vielen Cafés und Restaurants, Shops, aber irgendwie auch austauschbar. Das Besondere an San Francisco ist seine Lage am Eingang zur Bay, die steilen Straßen, die übrigens auch für Sausalito typisch sind, die unverwechselbare Golden Gate Bridge natürlich, immer wieder faszinierend. Ansonsten fällt uns noch auf, dass in der Stadt ziemlich viele abgedrehte und verwirrte Leute unterwegs sind, Männer wie Frauen. Das haben wir in diesem Ausmaß bisher nur in Las Vegas und nirgendwo sonst in der Welt gesehen, wahrscheinlich sind da Drogen im Spiel. Gerold sieht wohl doch viel jünger aus, als er dachte, er muss nämlich seinen Pass vorlegen, als er sich eine Dose Bier für den Abend kaufen will – auch das gibt es nur in den USA.

Am nächsten Tag erkunden wir die Umgebung von Sausalito. Der Ort ist zwar sehr touristisch, hat aber viel Atmosphäre mit seinen hübschen Cafés und Restaurants und der Lage direkt am Wasser. Es ist Samstag und Massen von Rennradfahrern sind unterwegs. Seit unserer Ankunft haben wir nur Traumwetter, das sei aber eher untypisch, haben uns Winnie und Bruce schon gewarnt. Auf dem Rückweg beginnt sich die Wetterlage dramatisch zu verändern. Starker Wind kommt auf, eine graue Wolkenwand schiebt sich vom Meer her landeinwärts. Das ist der berüchtigte Küstennebel. Verantwortlich dafür ist der Kalifornienstrom, eine kalte Meeresströmung, die maßgeblich das Klima hier beeinflusst. Die kalte Luft vom Meer trifft auf die heiße Luft im Landesinnern und löst v.a. im Sommer den für Kalifornien typischen Küstennebel aus, der oft im Laufe des Vormittags verschwindet, sich aber auch hartnäckig den ganzen Tag über halten kann. Während im Landesinnern die Hitze brütet, bleiben die Temperaturen in der Küstenregion so auch im Sommer erträglich. Der Nebel kann aber auch deprimieren; vor Jahren lernten wir Amerikaner in Nordkalifornien kennen, die im Sommer vor dem grauen Küstenwetter stets in die sonnigen Berge flüchteten. Im Laufe des Nachmittags entwickelt sich der Wind zu einem Sturm, der die Bäume biegt. Über der Bay kämpfen Nebel und Sonne gegeneinander, wir beobachten vom Haus aus dieses faszinierende Schauspiel und die ständig wechselnde Szenerie.

Am nächsten Morgen brechen wir auf. Wir wollen von San Francisco die Pazifikküste entlang Richtung Süden fahren, mindestens bis Santa Barbara. Unsere Strecke ist nur ein winziges Teilstück der legendären Panamerikana, die von Alaska nach Feuerland führt – den Abschnitt in Südchile und Feuerland sind wir aber in einem früheren Sabbatjahr schon geradelt. Der US-amerikanische Teil der Panamerikana ist insgesamt ca. 3000 km lang und verläuft von Kanada durch die Staaten Washington, Oregon und Kalifornien bis zur mexikanischen Grenze. Washington und Oregon sind berüchtigt für ihren Regen, mit Kalifornien haben wir uns sozusagen die Sonnenseite herausgepickt. Bei unserem Aufbruch ist allerdings von der Sonne nichts zu sehen, das Wetter ist immer noch grau, kalt, windig und ungemütlich. Über die Golden Gate Bridge fahren wir hinüber nach San Francisco, ab hier folgen wir der (nicht immer) ausgeschilderten „Pacific Coast Bicycle Route“, die jedoch zum großen Teil entlang dem US Highway 1 bzw. dem State Highway 101 verläuft und nur selten auf separaten Radwegen. 

Wir erwischen einen denkbar schlechten Start: Als wir die Küste erreichen, peitscht uns der Wind regelrecht entgegen. Das ist kein Gegenwind, das ist Gegensturm, was besonders frustrierend ist, weil wir von Winnie und Bruce wissen, dass der Wind normalerweise fast ausschließlich aus Norden bläst, in Fahrtrichtung Süden hat man also quasi Rückenwindgarantie. Auch der starke Verkehr ist für uns gewöhnungsbedürftig. Zu Beginn haben wir noch einen Randstreifen, am Ende müssen wir auf einem besonders schwierigen Stück mit starker Steigung und böigem Wind sogar ohne Randstreifen auskommen. Ich bin froh, als wir nach zermürbenden 50 km endlich den Half Moon Bay State Beach erreichen. Die zahlreichen State Parks und State Beaches entlang der kalifornischen Küste verfügen fast alle über sogenannte „Hiker und Biker Sites“, Stellplätze exklusiv für Wanderer und Fahrradfahrer. Die Übernachtung auf diesen Plätzen kostet zwischen 5 und 10 $ pro Person, Autos zahlen z.T. wesentlich mehr, bis zu 55 $. In der Half Moon Bay sind außer uns noch zwei weitere Radfahrer. Einer liegt bei unserer Ankunft schon schnarchend im Zelt, eine leere Weinflasche steht vor dem Zelteingang. Im Laufe des Abends wird er aber wieder munter und spricht uns an. Er kennt sich gut aus, weil er die Strecke schon zigmal geradelt ist, und gibt uns viele Tipps. Der gefährliche Abschnitt ohne Randstreifen, den wir heute am Ende gefahren sind, sei bei Insidern auch als „widowmaker“ (Witwenmacher) bekannt. Da können wir ja froh sein, dass wir überlebt haben. Er sei früher bei der Armee gewesen, berichtet er uns weiter, u.a. auch in Deutschland. Seine Ausrüstung ist ziemlich bescheiden. Wir vermuten, dass es sich um einen der vielen Radvagabunden handelt, Obdachlose, die sozusagen auf dem Rad leben. An der kalifornischen Küste gibt es wegen des angenehmen Klimas besonders viele davon. Sie radeln die Küste rauf und runter und übernachten auf den günstigen biker sites in den State Parks, die Sicherheit, Toiletten und meist auch Duschen bieten. Früher waren die biker sites noch billiger, die Radvagabunden richteten sich deshalb auch für längere Aufenthalte dort ein… Um das Problem dezent in den Griff zu bekommen, ohne die Obdachlosen zu diskriminieren, wurden die Preise erhöht, der Aufenthalt ist mittlerweile auf zwei Nächte begrenzt und Alkohol ist auf den biker sites oft verboten. Je weiter wir Richtung Süden kommen, desto häufiger sehen wir in den State Parks Obdachlose (auch ohne Rad), die sich nach Einbruch der Dunkelheit einschleichen, im Schlafsack auf den Boden rollen und beim ersten Licht verschwinden.


Am nächsten Tag fahren wir über 60 km durch praktisch unbesiedeltes Gebiet, in ständigem Auf und Ab ganz nahe an der Küste vorbei, mit supertollen Blicken. Aber der Verkehr nervt, wir haben meist keinen Randstreifen und der Wind bläst uns immer noch in Sturmstärke entgegen. Lang anhaltender Gegenwind zermürbt, macht wortkarg, reizbar und angriffslustig, einfach schlechte Laune – und kostet v.a. sehr viel Kraft. Gegenwind ist immer ärgerlich, aber Gegenwind, der normalerweise zu 99 % Rückenwind sein sollte, ist einfach nur unfair. Am liebsten würde ich mein Fahrrad in tausend Stücke zerhacken und von der nächsten Klippe ins Meer werfen. „Würde……“ In Wirklichkeit fahren wir an diesem Tag 90 km und ich bin am Abend so müde, dass ich einschlafe, bevor das Essen fertig ist. Gerold hatte gewettet, dass wir „unseren“ Vagabunden, der ebenfalls Richtung Süden unterwegs ist, nicht mehr treffen, aber siehe da: Der hat sein Zelt schon stehen, als wir spät um 19 h ankommen, und sitzt in bester Laune bei seinem zweiten Bierchen…..

Am nächsten Tag hat sich der Wind gelegt und die Sonne scheint. Wir fahren fast ausschließlich flach und landeinwärts durch vorwiegend landwirtschaftlich geprägtes Gebiet, die Küste bekommen wir kaum zu sehen. Auf riesigen Feldern ist gerade die Erdbeerernte im Gange, überall liegt zarter Erdbeerduft in der Luft… Kurz vor Monterey erreichen wir wieder die Küste, auf einem wunderschönen Radweg, der an der Monterey Bay entlangführt, nähern wir uns dieser hübschen Kleinstadt, die uns auf Anhieb gut gefällt. Am Stadtrand hausen im Schutze von Sträuchern Obdachlose. Mit Habseligkeiten bepackte Einkaufswagen, Pappkartons als Schlafunterlage, Müll und leere Bierdosen deuten darauf hin. Wenn man hier einmal schnell „in die Büsche“ will, kann man böse Überraschungen erleben…..


Für heute sind wir bei Mark von "Warmshowers" angemeldet. Das ist eine internetgestützte internationale Hospitality-Organisation nur für Radfahrer. Im jetzigen Sabbatjahr haben wir Warmshowers nur selten genutzt, jeweils einmal in Europa, Thailand und Burma und zweimal in Japan. Die Westküste der USA aber ist Fahrradland, nirgendwo sonst auf der Welt gibt es so viele Gastgeber von Warmshowers wie hier. Da in den USA das Verständigungsproblem entfällt und wir auch gerne mit Einheimischen in Kontakt kommen, wollen wir in Kalifornien versuchen, häufiger bei Warmshowers-Gastgebern zu bleiben. Es ist auch immer wieder interessant und spannend, verschiedene Lebensstile kennenzulernen.

Als wir uns aufmachen, Marks Haus zu suchen, beginnt auf dem Meer gerade ein spektakuläres Schauspiel: Eine riesige Nebelwand schiebt sich geradezu bedrohlich Richtung Stadt. Mark wohnt auf der Spitze eines Hügels, als wir dort ankommen, ist schon alles in dichten Nebel gehüllt, der Wahnsinn! Mark hat ein großes Haus mit Garten und kocht zum Abendessen sehr leckeren Fisch. Tochter Anicka kommt noch vorbei, die gleich nebenan wohnt und für ihre gerade mal 19 Jahre ganz schön patent ist. Marks Frau hält sich mit dem minderjährigen Sohn zurzeit für ein Auslandsjahr in Indien auf, kehrt aber in wenigen Wochen in die USA zurück. Wir verbringen einen sehr netten Abend und erhalten das Angebot, noch eine weitere Nacht zu bleiben, was wir gerne annehmen, weil uns das Gelegenheit gibt, das bekannte Aquarium in Monterey zu besuchen. Wir verbringen fast den gesamten nächsten Tag dort und sind total begeistert. Das Konzept dieses „Meeresmuseums“ ist wie das vieler anderer Museen in den USA, die wir schon besucht haben, eher erlebnisorientiert und interaktiv. Es gibt viel zum Miterleben und Anfassen, z.B. die „Touch Pools“, die nicht nur den Kindern gefallen. Auch uns macht es Spaß herauszufinden, wie sich eine Seegurke anfühlt (weich und schwabbelig!). Manch einem mögen die amerikanischen Museen zu populärwissenschaftlich erscheinen, wir finden sie einfach nur klasse und sie sind immer richtig gut besucht. Wir schauen der Fütterung von Haien und der putzigen Seeotter zu und von den unglaublich beeindruckend präsentierten Quallen und Seepferdchen können wir uns gar nicht losreißen, es sind wahre Wunderwerke der Natur. Faszinierend finden wir auch die Fischschwärme – wie sie sich trennen und dann wieder zueinander finden, das sieht wie Wasserballett aus. Auch der „Kelp Forest“ (Tangwald), der über zwei Etagen geht, ist spannend und, und……

Am nächsten Morgen verabschieden wir uns von Mark und machen uns auf den Weg nach Big Sur.


Mit unseren Freunden Winnie und Bruce in einem zünftigen Fischrestaurant 
im Hafen von Sausalito



Die Portionen hier sind mehr als großzügig ...



... aber für Radler kein Problem!



Der Death Ride in den Kalifornischen Alpen: 
129 Meilen, 5 Pässe, 4500 Höhenmeter - alles nonstop an einem Tag.



"Unser" Wohnzimmer hoch über Sausalito mit Traumblick auf die Bay.



Blick von der Veranda: Skyline von San Francisco in der Abendsonne



Am nächsten Morgen: Wir überqueren die Golden Gate Bridge bei stürmischem Wetter.



Golden Gate Bridge 



Wir kämpfen uns bei starkem Gegenwind und über sehr steile Straßen 
durch die Vororte von San Francisco.



Auf der Küstenstraße (1)



Küstenszenerie: Die grandiose Landschaft entschädigt für die Anstrengung.




Unser erster Zeltplatz an der Half Moon Bay



Auf der Küstenstraße (2)



Blütenpracht am Highway (und endlich wieder Sonne!): 
"Proud of Madeira" heißt diese Staude hier.



Blühende Sukkulenten in den Dünen



Kalifornischer Mohn: Diese wunderschöne Blume wächst hier wie Unkraut.



Immer noch Gegenwind: Auf der Küstenstraße (3)


Campingplatz Nr. 2: New Brighton State Beach



Wir zelten für 10 US $ auf  der "Hiker/Biker site".



           Auf der Küstenstraße (4): Anders als auf dem Foto zu sehen,
                ist die Straße leider oft ziemlich stark befahren.


Kurz vor Monterey gibt es einen wunderschönen Radweg.



Am Hafen von Monterey (1)



Am Hafen von Monterey (2)



Am Hafen von Monterey (3): Der Küstennebel zieht auf.



Im Aquarium von Monterey: Kelpwald



Hai im Kelpwald




Quallen (1)



Quallen (2)



Quallen (3)



Seepferdchen (1)



Kaum zu glauben, dass es so etwas gibt: Auch das ist ein Seepferdchen!



"Touch Pool" mit Seegurke



Die Kinder warten aufgeregt auf eine simulierte Welle. 



Das Besichtigungsprogramm im Aquarium  macht hungrig ...



Am nächsten Morgen verabschieden wir uns von unserem Gastgeber Mark.