Freitag, 16. Oktober 2015

Polen und Litauen Sommer 2015, Teil 2: Litauen



Litauen im Sommer 2015:   27.7.2015  bis  31.7.2015

365 km
525 Höhenmeter

Am frühen Morgen passieren wir kurz hinter dem polnischen Dorf Wiżajny die Grenze zu Litauen. Im ersten Ort schauen wir uns neugierig in dem kleinen Dorfladen um. Wir können unsere Euros wieder auspacken, denn Litauen gehört seit dem 1. Januar 2015 als neunzehntes Land zum Euro-Raum. Im Vergleich zu Polen wirkt das kleine Land zumindest auf den ersten Blick deutlich ärmer und unterentwickelter. Bald geht es flott abwärts in eine weite Ebene, kräftig angetrieben durch Rückenwind fliegen wir nur so dahin und fahren an unserem ersten Litauen-Tag fast 120 km. Verglichen mit dem schönen Masuren finden wir die Landschaft eher etwas eintönig, endlose Weizenfelder, kaum Abwechslung. Gegen Abend erreichen wir Šakiai, einen größeren Ort. Auf einem Plan bei der Touristeninformation ist ein Campingplatz an der nicht mehr weit entfernten Memel verzeichnet, ca. 15 km von hier  in Gelgaudiškis. Die werden wir jetzt auch noch schaffen. In  Gelgaudiškis irren wir eine Weile am Ufer der Memel entlang, einen Campingplatz können wir aber nicht finden und in dem kleinen Ort gibt es auch keine andere Übernachtungsmöglichkeit. Es ist schon spät, bis Jurbarkas, der nächsten Stadt mit Hotels können wir es jetzt kaum noch schaffen. Aber wo sollen wir hier wild zelten, in dieser weiten, offenen Landschaft kann man sich nicht verstecken. Gerold stoppt ein Auto, der junge Mann am Steuer spricht etwas Englisch. Nein, ein Hotel würde es hier nicht geben, meint er, aber wir könnten auf dem Grundstück seiner Mutter zelten. Er fährt voraus, wir holpern 4 km  über eine sehr schlechte Piste hinter ihm her. Mutter und Stiefvater wissen wohl auch nicht, wie ihnen geschieht, als wir plötzlich vor der Tür stehen, sind aber sehr freundlich. Sie beobachten interessiert, wie wir unser Zelt aufstellen und Gerold mit den Vorbereitungen für das Abendessen beginnt. Mindaugas, so heißt der junge Mann, verabschiedet sich schon bald zu seiner eigenen Familie, jetzt wird es schwierig mit der Kommunikation. Der Stiefvater spricht ein paar Worte Deutsch und zeigt Gerold nach dem Essen noch das Grundstück und die Ställe mit Ziegen und Kaninchen. Der Gegensatz könnte größer nicht sein: In Wiżajny hatten wir letzte Nacht ein ganzes Ferienhaus, heute Abend haben wir zwar nur ein Plumpsklo, dürfen aber eine unglaubliche Gastfreundschaft erleben.  Am nächsten Morgen werden wir noch mit Gemüse aus dem Garten versorgt und natürlich zeigen wir uns gerne erkenntlich.

Die letzten 15 km bis Jurbarkas holpern wir über einen ziemlich üblen Schotterweg, um uns die stark befahrene Hauptstraße zu ersparen. In Litauen gibt es noch viele Pisten, das ist uns schon gestern aufgefallen. Hinter Jurbarkas verändert sich die Landschaft, wir fahren lange durch ein Waldgebiet. Einsam ist die Strecke, wie auch gestern schon. Litauen ist dünn besiedelt, die meisten Menschen leben in den Städten. Im Bereich von Häusern sitzen manchmal Leute mit ein paar Gläsern Eingemachtem an der Straße, Gemüse, Pilze und Beeren, die sie zum Verkauf anbieten. Einmal müssen wir fast zwei Stunden in einem Bushäuschen Zuflucht suchen, weil sich ein Gewitter mit heftigem Regen austobt. 

Wir sind jetzt unterwegs im Memelland, einem Landesteil des früheren Ostpreußen nördlich der Memel und dem entsprechenden Teil der Kurischen Nehrung, der bis zum Ersten Weltkrieg zum Deutschen Reich gehörte. Durch den Versailler Vertrag wurde er 1919 vor allem auf Betreiben Frankreichs dem Völkerbund unterstellt und später Litauen übertragen, trotz heftiger Proteste aus der Bevölkerung, die auf die über 600jährige deutsche Tradition verwies und durch Petitionen und Umfragen nahezu geschlossen für einen Verbleib beim Deutschen Reich eintrat. Aber anders als im südlichen Teil Ostpreußens waren die Memelländer von den Alliierten nicht zu einer Volksabstimmung über den Verbleib beim Deutschen Reich aufgerufen worden. Hitler setzte 1939 die Rückgabe an Deutschland durch, 1945 wurde es wieder Litauen angegliedert. 

In dem kleinen Ort Vilkyškiai (ehemals Willkischken) machen wir eine kurze Pause und sind überrascht, eine erstaunlich gut ausgestattete, hochmoderne Touristeninformation vorzufinden. Eine junge Dame, die hervorragend Deutsch spricht, versorgt uns mit wichtigen Informationen und macht noch ein Foto von uns Radlern – vielleicht glänzen wir mittlerweile schon auf einer Touristenbroschüre. Wir bekommen eine Empfehlung für ein Hotel in der Nähe, der wir gerne nachkommen, da es schon wieder regnet. Von dort aus machen wir am nächsten Morgen einen Abstecher zum Rombinus-Park in der Nähe, mit schönen Ausblicken auf die Memel und durch das Storchendorf Bitėnai. Über Pagėgiai erreichen wir gegen Abend Šilute, das frühere Heydekrug. Dieser Abschnitt ist wenig prickelnd, weil die Straße sehr stark befahren ist. Die Touristeninformation in Šilute ist ebenfalls gut ausgestattet, eine nette Dame erklärt uns in sehr gutem Deutsch den Weg nach Minija, von dort aus wollen wir morgen die Fähre nach Nida nehmen. Minija wird auch als das Venedig Litauens bezeichnet, es ist ein hübscher Ort, aber das finden wir dann doch etwas übertrieben. Wir zelten an der Fähranlegestelle, damit wir am nächsten Tag das erste Boot nehmen können. 

Die stürmische Fahrt über das Kurische Haff dauert mehr als zwei Stunden, dann legen wir in Nida an, dem wohl schönsten und touristischsten Ort auf dem litauischen Teil der Kurischen Nehrung, die das Kurische Haff von der Ostsee trennt. Wir schauen uns das Thomas-Mann-Haus an, in dem der Schriftsteller mit seiner Familie drei Sommer verbrachte, von 1930 bis 1932. Dann machen wir uns auf den Weg Richtung Norden. Leider beginnt es schon bald zu regnen und das bleibt mehr oder weniger so bis Smiltynė, so dass uns die schönste Fahrradetappe in Litauen durch extrem schlechtes Wetter verdorben wird. Auch können wir deswegen unterwegs kaum verweilen und uns fast nichts anschauen. Gegen Abend nehmen wir von Smiltynė aus die Fähre über die schmalste Stelle des Kurischen Haffs nach Klaipėda, dem früheren Memel. Für die Hafenstadt, die im Zweiten Weltkrieg  stark zerstört wurde, haben wir nicht viel Zeit, denn schon  am nächsten Abend besteigen wir die Fähre und erreichen einen Tag später Kiel und per Bahn Jörg in Eckernförde, wo unser Auto steht. 



Unsere Route durch Polen und Litauen:

Polen litauenStepMapPolen litauen




Am frühen Morgen passieren wir kurz hinter dem polnischen Ort Wiżajny
die Grenze zu Litauen. Estland und Lettland kennen wir schon von einem früheren Besuch vor vielen Jahren, Litauen ist Neuland für uns.


Zunächst fahren wir durch hügeliges Gelände.


Holzhäuser im skandinavischen Stil scheinen zumindest für das ländliche Litauen
typisch zu sein. Im Vergleich zu Polen wirkt das kleine Land
auf den ersten Blick deutlich weniger wohlhabend.


Ein prächtiger Bauerngarten in einem Dorf hinter der Grenze......


......., in dem wir eine kurze Pause machen und uns neugierig in dem kleinen Dorfladen umschauen: Jetzt können wir wieder unsere Euros auspacken, denn Litauen gehört seit dem
1. Januar 2015 als neunzehntes Land zum Euro-Raum.


An 1000 Jahre Litauen erinnert dieses Denkmal,
das von der Europäischen Union gefördert wurde.


Begünstigt durch Rückenwind fahren wir an unserem ersten Tag in Litauen fast 120 km. Da der bei Gelgaudiškis an der Memel verzeichnete Campingplatz nicht existiert und sich auch keine andere Übernachtungsmöglichkeit in dem kleinen Ort finden lässt, nehmen wir schließlich die Einladung unseres neuen Freundes Mindaugas an, auf dem Grundstück seiner Eltern zu zelten.


Mutter und Stiefvater von Mindaugas. Der Stiefvater spricht ein paar Worte Deutsch.


Wenn wir unterwegs sind, ist immer Gerold der Koch, während ich Tagebuch schreibe oder lese.



Am nächsten Morgen rüsten wir früh zum Aufbruch
und werden noch mit Gemüse aus dem Garten versorgt.


Unterwegs nach Jurbarkas: Abseits der Hauptstraßen gibt es in Litauen noch viele Pisten.


Dito.


Die Brücke über die Memel (lit. Nemunas) führt nach Jurbarkas auf der anderen Flussseite.


 Im Memelland: Hinter Jurbarkas fahren wir am rechten Ufer der Memel weiter,
die hier die Grenze zwischen Litauen und Russland bildet, und erreichen bald den kleinen Ort Viešvilė, ehemals Wischwill, das im einstigen Ostpreußen ein kultureller, kirchlicher und wirtschaftlicher Mittelpunkt einer großen Region beiderseits der Memel war.


Fast zwei Stunden harren wir in einem Bushäuschen gegenüber diesem Gebäude aus,
bis sich ein heftiges Gewitter entladen und abgeregnet hat.


Vilkyškia, ehemals Willkischken, gehörte früher wie das gesamte sogenannte Memelland
lange zu Ostpreußen, fiel nach dem Ersten Weltkrieg an Litauen, wurde 1939 wieder
dem Deutschen Reich angegliedert, bis die deutschen Memelländer 1945 ihre Heimat für immer verlassen mussten.


Inschrift am Kriegerdenkmal in Vilkyškia



  Das Memelland ging zusammen mit anderen Gebieten nach dem Ersten Weltkrieg durch den Versailler Vertrag verloren - Ergebnis der aggressiven Außenpolitik des Kaiserreichs. Aber noch viel größer waren die Gebietsverluste nach dem Zweiten Weltkrieg als Folge des von den Nazis 1939 angezettelten Eroberungs- und Vernichtungskrieges.
                              
      
Die junge Dame von der Touristeninformation in Vilkyškia, die perfekt Deutsch spricht, empfiehlt uns dieses urige Hotel bei Bardinai. In liebevoll renovierten Schulgebäuden, die über 100 Jahre alt sind, befinden sich hier verschiedene Unterkunftsmöglichkeiten  und ein hoteleigenes Restaurant, in dem wir hervorragend zu Abend essen.


Von unserem Hotel aus machen wir am nächsten Morgen über Waldwege einen Abstecher zum Rombinus-Hügel, im heidnischen Litauen eine der wichtigsten Kultstätten. Von dort oben hat man einen tollen Blick auf die Memel, zu der eine steile Holztreppe hinunterführt.
Auf der anderen Flussseite liegt Russland.


 Opferstein auf dem Rombinus


 Der sorgsam gepflegte Waldfriedhof von Bitėnai.


 In Bitėnai, ehemals Bittehnen, gibt es die größte Storchenkolonie des Memellandes.


Dito.


Bis Klaipėda ist es schon nicht mehr weit.


Immer wieder sehen wir dieses Verkehrsschild mit dem schwarzen Kreis -
was das wohl bedeutet?


Die EU hilft, dieses  Gebäude zu sanieren.

Spuren deutscher Vergangenheit wie hier an einem Haus in Šilute (dt. Heydekrug) findet man eher selten. Erinnerungen an die deutsche Geschichte des Memellandes sollten nach  dem Ersten und Zweiten Weltkrieg möglichst gelöscht werden..


 Dito.



Wellblech auf dem Weg nach Minija



Minija, am gleichnamigen Fluss gelegen, wird gerne als das "Venedig Litauens" bezeichnet,
was vielleicht ein bisschen übertrieben ist. Von hier aus nehmen wir die Fähre
nach Nida auf der  Kurischen Nehrung.


Minija von der Fähre aus gesehen


Bei der zweistündigen Überfahrt durch das Kurische Haff haben wir starken Wellengang.


Schönes Holzhaus in Nida auf der Kurischen Nehrung. Die rotbraune Holzverkleidung in der Farbe Ochsenblut und die blauen Fensterläden sind typisch für die Niddener Fischerhäuser.


200 steile Stufen führen hinauf zur Parniddener Düne bei Nida, auch Hohe Düne genannt.
Thomas Mann, der ein Ferienhaus in Nida hatte,  meinte 1929:
 "Die weiße Küste ist schön geschwungen, man könnte glauben in Afrika zu sein".


Im ehemaligen Ferienhaus von Thomas Mann, das er im Niddener Fischerstil erbauen ließ,
 ist heute ein Kulturzentrum untergebracht. Drei Sommer - von 1930 bis 1932 -
verbrachte der Schriftsteller hier mit seiner Familie.



                                Ferienhaushaus von Thomas Mann in Nidden
Thomas Mann und Familie vor dem Sommerhaus in Nidden.


                                  
                               Luftbild von Nidden
 Thomas Mann und Familie am Strand von Nidden (1930): Der Aufenthalt des berühmten Schriftstellers war eine gute Werbung für das Seebad. In seinem letzten Sommer auf der Kurischen Nehrung (1932) erhielt Mann, der immer wieder vor der drohenden Gefahr des Nationalsozialsmus gewarnt hatte, ein Paket mit einem angekokelten Exemplar der "Buddenbrooks". Für den Roman hatte er 1929 den Nobelpreis für Literatur erhalten.
1933 emigrierte Thomas Mann in die Schweiz und 1939 in die USA. Nachdem die Nationalsozialisten 1939 das Memelland  besetzt hatten, ließ Göring das Ferienhaus
der Manns beschlagnahmen. Bis zum Ende des 2. Weltkriegs diente es dann der Erholung von Offizieren  der deutschen Luftwaffe.



Von ihrem Ferienhaus hatten die Manns einen phantastischen Blick auf das Kurische Haff.


Von Nida führt ein sehr gut ausgebauter Radweg bis in den nördlichsten Zipfel der Kurischen Nehrung, die das Kurische Haff von der Ostsee trennt. Seit 1945 gehören die nördlichen 52 km zu Litauen, die südlichen 46 zum russischen Kaliningrad.


Leider beginnt es schon bald zu regnen und so wird uns die schönste Etappe in Litauen
durch schlechtes Wetter vermiest.


Blick auf das Kurische Haff von einem Aussichtspunkt


Oft fahren wir durch lichte Kiefernwälder.



Ein Holzbohlenweg führt hinauf zu den "Toten Dünen" zwischen Pervalka und Juodkrante.



Blick auf das Kurische Haff von den "Toten Dünen"


Zwischendurch zeigt sich auch mal kurz die Sonne.....


........ aber meistens gießt es wie aus Eimern.



Völlig durchnässt erreichen wir am Abend Smiltynė.
Von dort aus nehmen wir über die schmalste Stelle des Kurischen Haffs die Fähre zur gegenüberliegenden Hafenstadt Klaipėda. Das frühere Memel war bis 1920 die nördlichste Stadt Deutschlands und das Zentrum des Memellands.


 Der Theaterplatz mit dem Simon-Dach-Brunnen (rechts im Bild) gehört zu den
 bekanntesten Sehenswürdigkeiten in Klaipėda.


Die Brunnenfigur erinnert an das bekannteste Werk von Simon Dach, das ostpreußische Volkslied "Ännchen von Tharau". Nach dem Zweiten Weltkrieg kam im nun sowjetischen Klaipėda an seine Stelle eine Stalin-Büste. In den 80er Jahren schließlich wurde eine Nachbildung des Ännchens in Bronze gegossen und 1989 feierlich eingeweiht.



Der Simon-Dach-Brunnen mit Stalin-Büste.



Klaipėda: Auf dem Fluss Danė liegt das ehemalige Segelschulschiff "Meridianas",
 in dem heute ein Restaurant untergebracht ist.


Für Klaipėda bleibt uns leider nur ein halber Tag. Gegen Abend machen wir uns
auf den Weg zum Fährhafen, der weit außerhalb liegt.


Die Kieler Förde mit dem Marinedenkmal von Laboe:
 Nachdem die Fähre um 23 Uhr den Hafen von Klaipėda verlassen hat, erreichen wir
am nächsten Abend Kiel und fahren mit der Bahn zu Jörg nach Eckernförde.