Samstag, 5. Oktober 2013

Deutschland 3: Von Potsdam nach Eisenach


12.8.2013  bis  19.8.2013

Unsere erste Station hinter Potsdam ist die Lutherstadt Wittenberg, wo wir einen halben Tag Pause machen und uns das Lutherhaus anschauen, die wichtigste Sehenswürdigkeit. Hier lebte Luther mit seiner Familie bis zu seinem Tode 1546. Heute ist darin ein Museum untergebracht mit einer umfangreichen Sammlung zur Geschichte der Reformation. Viel Zeit verbringen wir im Erdgeschoss mit dem interessanten „Biographischen Rundgang“, der Luthers Werdegang und Lebensweg nacherzählt. Danach drehen wir noch eine Runde durch die schöne Altstadt. Die Schlosskirche wird leider gerade renoviert und kann nur im Rahmen einer Führung betreten werden, auch vor dem berühmten Thesenportal ist ein Baugitter. Merkwürdig leer ist es in der Altstadt. Nach der Wiedervereinigung kam es wegen hoher Arbeitslosigkeit zu einer massiven Abwanderungswelle, die Einwohnerzahl ist heute noch rückläufig.

Ab Wittenberg folgen wir bis Dessau dem beliebten Elbe-Radweg, der allerdings auf diesem Abschnitt nicht so schön ist, den Fluss bekommen wir kaum zu sehen, auch gibt es lange Stücke mit schlechtem Untergrund. Ansonsten ist die Strecke aber schon abwechslungsreich, wir passieren hübsche Orte wie Coswig , in Wörlitz gibt es einen bedeutenden Landschaftsgarten nach englischem Vorbild, aber wenn wir uns das alles anschauen wollten, bräuchten wir mindestens noch einen Monat mehr Zeit.

Die Stadt Dessau muss früher sehr schön gewesen sein, aber im März 1945 wurde 80 % des Stadtgebiets durch einen britischen Luftangriff zerstört. In der Altstadt stand kein Stein mehr auf dem anderen, das historische Stadtbild mit seinen Kirchen, Schlossanlagen, Adels- und Bürgerhäusern ging für immer verloren. Heute ist Dessau ein deprimierender Ort ohne jeglichen Charme, mit gesichtslosen Häuserfassaden, viele noch in DDR-Grau, endlosen Plattenbauten, zahlreiche Geschäftsräume stehen leer – wir sehen zu, dass wir weiterkommen.  Als wir uns Bitterfeld nähern, wundern wir uns, dass so viele Autos „ABI“ im Kennzeichen haben. Das können doch nicht alles Wunschkennzeichen von Abiturienten sein! Dann dämmert es uns endlich: „ABI“ steht für Anhalt-Bitterfeld.

Am Abend erreichen wir die "Händelstadt" Halle und landen auf einem Campingplatz mit den miesesten Sanitäranlagen, die wir je in Deutschland hatten. Aber weiterfahren können wir nicht mehr, es wird schon bald dunkel. Seit wir durch Sachsen-Anhalt radeln, haben wir das Gefühl, uns im Armenhaus Deutschlands zu befinden. Hier scheint an allen Ecken und Enden das Geld zu fehlen, vielerorts sieht es so traurig aus wie auf diesem Platz.  Die Altstadt von Halle dagegen ist schön, wie wir am nächsten Tag feststellen können. Halle wurde im 2. Weltkrieg nicht so stark zerstört wie andere deutsche Großstädte. Auch hier gäbe es wieder viel zum Anschauen, aber wir müssen weiter.

Bis Weimar folgen wir zunächst dem Saale-Radweg und danach dem Ilmtal-Radwanderweg. Das ist ja das Angenehme in Deutschland: Wenn man will und genug Zeit hat, kann man hier als Radfahrer Straßen komplett vermeiden. Wir bleiben nur einen Tag auf dem Saale-Radweg, der schönste Abschnitt ist hinter Naumburg, da verengt sich das Flusstal und wir fahren mitten durch das nördlichste Weinanbaugebiet Deutschlands, Saale-Unstrut. Später müssen wir unsere Räder auf einem supersteilen Waldstück aus dem Tal heraus zur Burgruine Rudelsburg schieben. Vor der Burg passieren wir mehrere Denkmäler, die im Kaiserreich und nach dem 1. Weltkrieg von der örtlichen Studentenverbindung errichtet, während der DDR-Zeit teilweise zerstört und nach der Wiedervereinigung wieder freigelegt bzw. erneuert wurden, z.B. der Obelisk für Kaiser Wilhelm I. und das Jung-Bismarck-Denkmal. Wir staunen immer wieder, was es hier sozusagen nebenbei alles zu entdecken gibt.

Auf dem wunderschön geführten Ilmtal-Radwanderweg nähern wir uns dann Weimar, wo wir einen Tag Pause machen. Spannende Stunden verbringen wir in Goethes Wohnhaus am Frauenplan, heute das Goethe-Nationalmuseum, die Räume sind teilweise noch original erhalten, so z.B. Goethes Arbeitszimmer. Auch Goethes Gartenhaus im Park an der Ilm schauen wir uns an, in dem der große Dichter von 1776 bis 1782 vergleichsweise bescheiden lebte, bevor er sein herrschaftliches Domizil am Frauenplan bezog. Im Gartenhaus lernte Goethe übrigens „seine“ Christiane kennen, mit der er 18 Jahre in wilder Ehe lebte, bevor er sie 1806 schließlich heiratete. Natürlich gibt es noch viele andere Sehenswürdigkeiten in Weimar, aber dafür fehlt uns am Ende die Zeit. Auf dem Marktplatz mit seinem wunderschönen Häuserensemble verzehren wir eine zünftige Thüringer Rostbratwurst – die Imbissbude wird v.a. von asiatischen Touristen belagert, die unbedingt ein Wurstfoto mit nach Hause nehmen möchten. Auch der Theaterplatz ist ein geschichtsträchtiger Ort. Hier steht das Deutsche Nationaltheater, in dem seinerzeit monatelang über die Verfassung der „Weimarer Republik“ verhandelt wurde. Direkt davor kann man das berühmte Goethe- und Schillerdenkmal bewundern, so etwas wie das Wahrzeichen von Weimar. Leider sorgen jugendliche Skater für viel Unruhe auf dem Theaterplatz, unentwegt drehen sie lautstark um das Denkmal herum ihre Runden, außerdem trifft sich hier die örtliche Säuferszene.

Schloss Tiefurt ist eine Sehenswürdigkeit am Stadtrand von Weimar. Die frühere Sommerresidenz von Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach liegt  mitten in einem großen Landschaftspark englischen Stils direkt an der Ilm und gehört als Teil des Ensembles „Klassisches Weimar“ zum UNESCO-Weltkulturerbe. Wir übernachten direkt nebenan auf einem kleinen privaten Campingplatz, wir brauchen nur durch ein Törchen zu gehen und schon befinden wir uns mitten im Park und können zu Fuß zum bekannten Musentempel spazieren. Gerne würden wir noch länger in Weimar bleiben, aber die Zeit drängt.

Hinter Weimar folgen wir dem Radweg „Thüringer Städtekette“ und erreichen bald Erfurt, auch hier würde sich ein längerer Aufenthalt lohnen, so viel gibt es anzuschauen. Wir dagegen drehen nur eine Runde durch die Altstadt mit ihren wunderschönen Fachwerkhäusern und bestaunen das einzigartige Ensemble von Dom und Severikirche auf dem Domplatz. Erfurt wurde im 2. Weltkrieg nicht sehr stark zerstört. Das holte dann die DDR nach, die zu Beginn der 70er damit begann, historische Stadtviertel abzureißen und durch Plattenbauten zu ersetzen. Erfurt war auch Schauplatz des ersten deutsch-deutschen Gipfels: Im März 1970 reiste Bundeskanzler Willy Brandt per Bahn an, um sich hier mit dem DDR-Ministerpräsidenten Willi Stoph zu treffen, und wurde im Hotel Erfurter Hof direkt gegenüber vom Bahnhof untergebracht. Die DDR-Führung wollte sicherstellen, dass Brandt sich während seines Aufenthalts möglichst wenig in der DDR bewegte. Deshalb hatte man auch die grenznahe Stadt Erfurt als Treffpunkt gewählt. Angehörige der Stasi wurden als brave DDR-Bürger getarnt, um der Welt eine heile sozialistische Idylle vorzuspielen, alles war perfekt inszeniert. Aber dann überrannten „echte“ DDR-Bürger einfach die Absperrungen und feierten Brandt mit begeisterten „Willy“-Rufen. Der war mittlerweile im Hotel verschwunden, die Menge forderte deshalb lautstark: „Willy Brandt ans Fenster!“  Brandt zeigte sich kurz und machte eine beschwichtigende Handbewegung, um die Menschen zu beruhigen. Die DDR-Führung war vor der ganzen Welt blamiert, ihr ganzes Lügengebäude innerhalb von Sekunden wie ein Kartenhaus in sich zusammengestürzt. Der Bahnhofsvorplatz heißt heute Willy-Brandt-Platz, über dem früheren Hotel prangt eine große Leuchtschrift: „Willy Brandt ans Fenster“. Natürlich fahren wir hin, um uns das anzuschauen.




Abschied von Potsdam mit Stadtschloss (links), Nikolaikirche (Mitte) 
und altem Rathaus (rechts).
Dazwischen Baumaschinen - der Wiederaufbau historischer Gebäude im Stadtzentrum ist noch längst nicht abgeschlossen.




Die historischen Beelitz-Heilstätten in Brandenburg: Ab 1898 als Arbeiter-Lungenheilstätte erbaut, im Ersten und Zweiten Weltkrieg Lazarett, nach 1945 das größte sowjetische Militärkrankenhaus im Ausland, nach der Wende privatisiert, seit der Insolvenz der Eigentümergesellschaft 2001 Verfall.
 Die prominentesten Patienten: Gaskriegsopfer Adolf Hitler 1916 und der 
krebskranke ehemalige DDR-Staatschef Erich Honecker 1990/91, bevor er nach Moskau ausgeflogen wurde.



Beelitz-Heilstätten: Ein einsamer Rotarmist mit Kalaschnikow 
hält immer noch Wache.


Auf dem Fernradweg R1 über Feldwege nach Wittenberg


Das Anwesen von Martin Luther in Wittenberg


 Eine der Besucherinnen hat offensichtlich etwas liegengelassen: 
An diesem Tisch hielt Martin Luther seine berühmten Tischreden


Zaren-Graffiti: "Schmiererei" von Peter dem Großen ("Пeтр")
 bei seinem Besuch im Lutherhaus im 1712


Die berühmteste Tür der Welt: Hier an die Schlosskirche nagelte Martin Luther
 am 31.Oktober 1517 seine "95 Thesen" - damit begann die Reformation.


Lutherstadt Wittenberg: Mittelalterliches Ensemble am Marktplatz


In Wittenberg zelten wir beim örtlichen Ruderverein direkt an der Elbe.


Unterwegs auf dem Elberadweg (2): Fähre bei Coswig


Skyline von Halle mit Denkmal des Komponisten Georg Friedrich Händel - 
vom Marktplatz aus gesehen


An Saale und Unstrut liegt das nördlichste Weinbaugebiet Deutschlands.


Hoch über dem Saaletal: Die Rudelsburg aus dem 12. Jahrhundert, 
im Dreißigjährigen Krieg zerstört, im 19. Jahrhundert während 
der Romantik "wiederentdeckt", seit 1848 Treffpunkt von Corpsstudenten, 
Teilwiederaufbau 1871/72.


An der Rudelsburg erreichen wir die 16 000 km - Marke!


Kaiser-Wilhelm-I.-Obelisk von 1890 an der Rudelsburg


 Das Jung-Bismarck-Denkmal an der Rudelsburg: 
Der spätere Reichskanzler als Corpstudent - 
zusammen mit Ariel, seiner Deutschen Dogge.  
Gestiftet von deutschen Corpsstudenten anläßlich des 80. Geburtstages 
von Fürst Otto von Bismarck 1895. In der DDR zerstört, Nachguss 2006.


Löwendenkmal (1922) im Steinbruch vor der Rudelsburg für im 1. Weltkrieg gefallene Corpsstudenten.  Es zeigt im Relief einen überdimensionalen von Lanzen getroffenen, aber kampfbereiten, nach Westen (= Frankreich!) gewendeten Löwen. In der DDR-Zeit zugewachsen, nach der Wiedervereinigung freigelegt und zu einer Gedenkstätte für die Gefallenen beider Weltkriege umgewidmet.


Goethe und Schiller zusammen mit Touristen vor dem Nationaltheater in Weimar. 
Hier trat am 6. Februar 1919 die Verfassungsgebende 
Deutsche Nationalversammlung zusammen; 
einige Tage später wurde hier Friedrich Ebert (SPD) zum ersten Reichspräsidenten der Weimarer Republik gewählt.


Auch  Bildungstouristen aus Ostasien interessieren sich für die Weltkulturerbestätten der Deutschen Klassik.


Deutschland - Land der Dichter und Denker (?)


Goethehaus Weimar: In diesem Sessel starb Johann Wolfgang von Goethe
 am 12. März 1832. Seine letzten Worte: "Mehr Licht!"


Hier lustwandelten schon die Klassiker: Der Schlosspark Tiefurt mit dem Musentempel gehört seit 1998 als Teil des Ensembles "Klassisches Weimar" 
zum UNESCO-Weltkulturerbe.

Musentempel Tiefurt: Friedrich Schiller rezitiert, im Publikum 
Wieland und Goethe (rechts, stehend) - Ölgemälde von 1860

Erfurt (1): Domplatz mit Dom und Severikirche 


Erfurt (2): "Willy Brandt ans Fenster!"  
Von diesem Erker im früheren Hotel "Erfurter Hof" grüßte  Willy Brandt beim ersten Besuch eines westdeutschen Bundeskanzlers in der DDR 1970 
eine jubelnde Menschenmenge.

Schlechtes Wetter: In diese Straßenbahnhaltestelle flüchten wir uns vor einem kräftigen Regenschauer.


In Eisenach besuchen wir eines der schönsten und ältesten 
Fachwerkbauten der Stadt, das Lutherhaus. 
Hier wohnte der kleine Martin während seiner Schulzeit.