Phnom Penh ist uns von mehreren Seiten als besonders schön
empfohlen worden. Vielleicht sind wir nach vier Monaten ein bisschen asienmüde
und etwas unduldsamer gegenüber Verkehrschaos und Schmutz – jedenfalls tun wir
uns mit dieser Stadt schwer, sie gefällt uns einfach nicht. Am meisten nervt
uns der Verkehr, man wird eigentlich
immer und überall von Autos, Tuk Tuks und Mopeds gejagt. Bürgersteige gibt es,
aber sie sind praktisch ausnahmslos zugeparkt, oft mit Luxusschlitten – schon
etwas merkwürdig in einem der ärmsten Länder der Welt. Da fragt man sich, wohin
eigentlich die Entwicklungshilfegelder fließen…
Breite Boulevards bestimmen das Stadtbild von Phnom Penh,
die Franzosen haben sie anlegen lassen. Auch sonst erinnert noch viel an die
Zeit der „Grande Nation“: Gebäude im Kolonialstil, Straßencafés und natürlich
Baguette, das man hier praktisch an jeder Ecke kaufen kann. Doch selbst dieser
viel gepriesene koloniale Charme geht im Straßenlärm irgendwie unter. Die
Uferpromenade am Fluss Tonle Sap wird abends zur Flaniermeile und für
sportliche Aktivitäten genutzt und ist eigentlich ganz nett, aber ebenfalls vom
Verkehr umtost. Schwer zu schaffen macht uns in Phnom Penh auch die Hitze. Die
Temperatur klettert tagsüber auf fast 40 Grad (im Schatten), man merkt, dass es
allmählich auf die heiße Zeit zugeht. Aber wir wollen uns nicht beklagen, im
Bergischen wird noch Schnee geschippt…..
Die Hauptsehenswürdigkeit in Phnom Penh ist der
Königspalast, auf dessen weitläufigem Gelände sich u.a. der Wohnbereich des
jetzigen Königs Norodom Sihamoni befindet. Sein Vater, der erst kürzlich
verstorbene Norodom Sihanouk, war eine charismatische, schillernde Persönlichkeit,
ein geschickter Taktierer, der alle politischen Wirren in seinem gebeutelten
Land überstand und 1993 zum zweiten Mal König wurde.
An das dunkelste Kapitel in der Geschichte Kambodschas, die
Schreckensherrschaft Pol Pots und der Roten Khmer in den 70er Jahren, erinnern
zwei Gedenkstätten, das Tuol-Sleng-Museum mitten in der Stadt und Choeung Ek,
eines der berüchtigten „Killing Fields“ ca. 15 km außerhalb.
Die Roten Khmer entwickelten sich aus einer radikalen
Studentengruppe, die sich in den 50er Jahren in Paris gebildet hatte. Fast die
gesamte spätere Führungsclique hatte, mit staatlichen Stipendien gefördert, in
Paris studiert und war dort mit kommunistischem Gedankengut in Berührung
gekommen. Nach ihrer Rückkehr aus Frankreich blieben diese Männer in engem
Kontakt und wurden politisch aktiv, teilweise im Untergrund, spielten aber
vorerst noch keine bedeutende Rolle. Ab 1970 begannen unterschiedliche
Entwicklungen, die den Weg für die Machtübernahme Pol Pots („Bruder Nummer 1“
und Kopf der Gruppe) und seiner Roten Khmer bereiteten. Am 17.4.1975
marschierten die Roten Khmer in Phnom Penh ein. Vorausgegangen waren
bürgerkriegsähnliche Zustände unter der Regierung von Lon Nol, der 1970
Sihanouk entmachtet hatte. Die Bevölkerung hieß deshalb die neuen Herren
begeistert als Befreier und Friedensboten willkommen, wurde aber zu ihrem
Erstaunen noch am gleichen Tag aufgefordert, die Stadt binnen 48 Stunden zu
verlassen, angeblich weil ein Vergeltungsschlag der Amerikaner bevorstünde. Es
gab keine Ausnahme, auch Krankenhäuser wurden evakuiert. Wer nicht gehorchte,
wurde auf der Stelle erschossen. Die Ideologie der Roten Khmer war die
bedürfnislose Gleichheit der Menschen und ihr Ziel, Kambodscha in einen
Agrarstaat zu verwandeln. Städter passten nicht zu diesem Steinzeitkommunismus,
sie waren dekadente, unverbesserliche Kapitalisten und mussten deshalb aufs Land
umgesiedelt werden, um dort ihre neue Rolle als Bauern zu lernen. Mit
Intellektuellen machten die Roten Khmer kurzen Prozess: Jeder, der studiert
hatte, eine Fremdsprache beherrschte oder auch nur eine Brille trug, wurde
ermordet. Schulen wurde(n) geschlossen, Bücher verbrannt, Religionsausübung
verboten, Pagoden zerstört. Der Terror der Roten Khmer war einer der blutigsten
in der gesamten Geschichte des Kommunismus. Selbst unter Stalin kamen
prozentual zur Gesamtbevölkerung nicht so viele Menschen ums Leben wie unter
Pol Pot. In der kurzen Zeit von 1975 bis 1979 verloren ca. 20 % der
kambodschanischen Bevölkerung durch Mord, Folter, Hunger und Auszehrung ihr
Leben.
Phnom Penh war innerhalb von 48 Stunden menschenleer, die
über 2 Millionen Bewohner wurden über die Ausfallstraßen wie Vieh aufs Land
getrieben, eine unfassbare Tragödie begann für die Bevölkerung. In der
Geisterstadt wohnten fortan nur noch wenige Menschen, hauptsächlich Funktionäre
der Roten Khmer. Aber nicht nur Phnom Penh wurde evakuiert, auch alle anderen
Städte des Landes. Sozusagen im Schnellverfahren sollte Kambodscha in eine
perfekte kommunistische Gesellschaft verwandelt werden. Wer z.B. für sich
selbst Gemüse anbaute, wurde getötet. Alles Essbare, auch was in freier Natur
wuchs, war Eigentum des Volkes und jeder „Diebstahl“ wurde sofort mit der
Höchststrafe geahndet.
Der Einmarsch der Vietnamesen Anfang 1979 bedeutete zwar das
Ende des Pol Pot-Regimes, nicht aber der Roten Khmer, die noch über Jahrzehnte
die Menschen terrorisierten und das Land mit Bürgerkrieg überzogen. Erst die
Intervention der Vereinten Nationen brachte in den 90er Jahren endlich Frieden
in das geschundene Land.
Die Gedenkstätten Tuol Sleng und Choeung Ek
Tuol Sleng schauen wir uns zuerst an. Das frühere
Schulgelände wurde von den Roten Khmer nach der Machtergreifung in die
berüchtigte Folterkammer S 21 (Security Office 21) umfunktioniert. Insgesamt
ca. 20.000 Kinder, Frauen und Männer wurden hier inhaftiert, gefoltert und
anschließend in Choeung Ek ermordet. Zu Beginn „verhörte“ man hier
hauptsächlich Funktionäre der Regierung Lon Nol. Auf Grund von
Säuberungsaktionen in den eigenen Reihen füllten später aber immer mehr Kader
der Roten Khmer selbst das Gefängnis. Fast niemand, der hierher kam, überlebte.
Exekutionen wurden in S 21 zwar nicht durchgeführt, jedoch starben viele an den
Folgen der Folter. Hingerichtet wurden die Gefängnisinsassen, nachdem sie alles
zugegeben hatten, was man ihnen unterstellte, auf den berüchtigten „Killing
Fields“ außerhalb Phnom Penhs, zu denen sie nachts mit Lastwagen transportiert
wurden.
Auf dem Gelände von Tuol Sleng befinden sich vier Gebäude.
In Gebäude A funktionierten die Roten Khmer die Klassenzimmer in große
Einzelzellen um, in denen die Gefangenen auf Pritschen angekettet waren. Hier
wurden auch die letzten Opfer gefunden, 14 insgesamt, darunter eine Frau. Die
Gefängniswärter schnitten ihnen noch schnell die Kehlen durch, bevor sie
flohen. Die Pritschen von damals stehen teilweise noch in den Räumen, die
„passenden“ Fotos von den misshandelten Opfern hängen an den Wänden. Ansonsten
sind die Räume vollkommen leer, wodurch der beklemmende Eindruck entsteht, die
Schergen seien gerade erst verschwunden. Gebäude B ist schon eher wie ein
Museum hergerichtet. Hier hängen endlose Galerien von Portraits der Gefangenen,
die bei der Internierung peinlichst genau registriert und fotografiert wurden,
darunter sehr viele junge Männer und Frauen, teilweise mit Babys. Sie schauen
ängstlich, apathisch oder ratlos in die Kamera. Es gibt auch Fotos von der
Führungsclique der Roten Khmer und von Folteropfern. Das sind keine
„friedlichen“ Toten, sie haben Augen und Münder teilweise weit aufgerissen, als
würden sie selbst im Tod noch leiden.
Gebäude C wurde nach dem Selbstmord einer Frau, die aus dem
2. Stock gesprungen war, komplett mit Stacheldraht versehen. Hier waren die Gefangenen
in winzigen Einzelzellen oder in Gruppen in ehemaligen Klassenzimmern
untergebracht. Wie in den anderen Räumen hängen auch hier oft noch die
Schultafeln an den Wänden. Die Gefangenschaft in S 21 konnte mehrere Monate
dauern. In dieser Zeit wurden die Gefangenen auf bestialische Weise gefoltert.
Folterwerkzeuge und –geräte sind in Gebäude D zu sehen, außerdem schaurige
Bilder vom „Alltag“ in Tuol Sleng, die Vann Nath, einer der wenigen
Überlebenden von S 21 malen ließ. Leider befindet sich das Museum z.T. in einem
bedauernswerten Zustand. Alles ist zugestaubt, die Seminarräume in Gebäude D
wurden offenbar schon lange nicht mehr benutzt. Die Vergangenheitsbewältigung
ist in Kambodscha ein heikles Thema. Würde die Zeit der Roten Khmer konsequent
aufgearbeitet, säße wohl der Großteil des heutigen Parlaments auf der
Anklagebank, denn viele haben irgendwann mit den Massenmördern paktiert, auch
der verstorbene Norodom Sihanouk. Am Ausgang von Tuol Sleng sitzt einer der
wenigen Überlebenden des Gefängnisses und macht Werbung für ein Buch über seine
damaligen Erlebnisse. Er entging Folter und Tod, weil er eine Schreibmaschine
reparieren konnte und fortan als Mechaniker eingesetzt wurde….
Nach dem Besuch von Tuol Sleng fahren wir weiter nach
Choeung Ek, dem bekanntesten der über 300 „Killing Fields“ in Kambodscha. 129
Massengräber wurden hier gefunden, 2/3 davon geöffnet und die Gebeine würdig in
einem Gedenkstupa aufgebahrt. Wenn die Gefangenen von Tuol Sleng die Folter
überlebten, brachte man sie hierher zur Exekution. Sie mussten sich vor ihre
Gräber knien und wurden dann mit allem, was zur Verfügung stand, erschlagen:
Hämmern, Äxten, Werkzeug, Macheten, Wagenachsen. Kugeln waren den Roten Khmer
zu teuer, deshalb wurden die Opfer nicht erschossen. Eine Parole von Pol Pot
lautete: „Lieber versehentlich einen Unschuldigen töten, als einen Feind aus
Versehen schonen.“
Man kann sich das Mausoleum anschauen und einen Rundgang
über das Gelände machen, Hinweisschilder informieren z.B. darüber, wo nachts
die Lastwagen hielten und die Opfer aussteigen mussten, einzelne Massengräber
sind noch als Mulden erkennbar. Viel ist sonst nicht mehr zu sehen, es befand
sich aber auch nie viel hier, es waren wirklich „nur“ Hinrichtungsstätten,
„Killing Fields“ eben. Ganz automatisch unterhält man sich hier aus Respekt vor
den Opfern nur noch im Flüsterton. Als Deutscher fühlt man sich in besonderer
Weise berührt, weil sich Vergleiche mit dem Dritten Reich aufdrängen.
Von Phnom Penh fliegen wir zurück nach Bangkok, wo wir nur
einen Tag bleiben, um unsere Abreise nach Hongkong vorzubereiten. Unsere Zeit
in Südostasien ist, leider, leider, damit endgültig zu Ende.
Dieser Aushang in unserem Hotelzimmer läßt erahnen, dass die jüngere Geschichte Kambodschas alles andere als konfliktfrei verlaufen ist.
Fotos von den Gefangenen 3
Phnom Penh: Auf dem Bürgersteig geparkter Luxusschlitten
und ein Mönch auf dem Almosengang
Die Fahrradrikscha ist hier noch ein wichtiges Transportmittel.
Uferpromenade am Tonle Sap
Dieser Aushang in unserem Hotelzimmer läßt erahnen, dass die jüngere Geschichte Kambodschas alles andere als konfliktfrei verlaufen ist.
Am Eingang zum Königspalast
Portraits des kürzlich verstorbenen Norodom Sihanouk mit Trauerflor
Die Thronhalle auf dem Gelände des Königspalasts
Tuol Sleng, ehemaliges Schulgebäude und später die Folterkammer der Roten Khmer
Tuol Sleng: Gebäude C, komplett mit Stacheldraht gesichert
17.4.1975: Die Bevölkerung von Phnom Penh jubelt den einmarschierenden Roten Khmer zu......
....aber noch am selben Tag erfolgt der Befehl, die Stadt umgehend zu verlassen.
Wappen der Roten Khmer:
Bewässerungsanlagen, Reisfelder und Fabriken sollen den Wohlstand sichern.
Tuol Sleng, Gebäude A:
In diesem ehemaligen Klassenzimmer wurden die Gefangenen verhört und oft zu Tode gefoltert.
Gebäude A: Pritsche und Foto eines Folteropfers,
wie von den einmarschierten Vietnamesen 1979 vorgefunden
Folteropfer
Gebäude C: winzige Einzelzellen für die Gefangenen
Fotos von den Gefangenen 1
Fotos von den Gefangenen 2
Fotos von den Gefangenen 3
Auch einige Ausländer gerieten wie dieser Australier in die Fänge der Folterknechte.
Folteropfer, von den Roten Khmer dokumentiert.
Eine der Foltermethoden in Tuol Sleng
Angestaubter Seminarraum in Tuol Sleng:
Hier hat schon lange keine Veranstaltung mehr stattgefunden.
Einer der ganz wenigen Überlebenden von Tuol Sleng macht Werbung für sein Buch.
Der Gedenkstupa für die Opfer von Choeung Ek
Gebeine, die in den Massengräbern von Choung Ek gefunden wurden.
Das ist der Hauptverantwortliche für den Völkermord in Kambodscha:
Saloth Sar, besser bekannt unter seinem Decknamen Pol Pot.
Dieser selbstgewählte Name ist eine Abkürzung von "politique potentielle",
so bezeichneten die chinesischen Maoisten den ehrgeizigen Jungkommunisten aus Kambodscha.
Das ist die heutige politische Führungsspitze in Kambodscha -
diese Plakate haben wir unterwegs tausendfach gesehen.
Ende unserer Südostasienreise:
Wir fahren mit dem Tuk Tuk zum Flughafen von Phnom Penh.
Die Räder haben wir wieder in die Plastiktaschen gepackt,
die uns der falsche Passagier in Madrid verkauft hat.