9. und 10. Juli 2013
Zwei Hauptpistenrouten führen durch das
isländische Hochland, die „Kjölur“ und die „Sprengisandur“. 1933 dauerte die
erste Autofahrt über die Sprengisandur noch eine Woche – für 200 km!!
Mittlerweile sind die Pisten natürlich viel besser ausgebaut, aber immer noch
schwierig. Wir werden die Kjölur fahren, auf der im Gegensatz zur Sprengisandur
alle Flüsse überbrückt sind – mit den beladenen Rädern eiskalte, reißende
Gletscherflüsse zu furten, ginge aber auch wirklich ein bisschen zu weit. Außerdem
kennen wir die Sprengisandur schon: Bei unserer ersten Islandreise 1982 waren
wir dort mit einem alten VW-Bus unterwegs – und blieben beim Furten prompt mitten
in einem Fluss stecken. Zu unserem Glück war ein schwerer Geländewagen zur
Stelle, der uns aus dem Wasser zog.
Kurz hinter dem Gullfoss und unserem „wilden“
Übernachtungsplatz beginnt die 160 km lange Pistenstrecke. Die Voraussetzungen
sind gut: Für heute ist Sonne gemeldet, morgen soll es bedeckt, aber noch trocken
sein und übermorgen wieder regnen. Wir fahren Richtung Norden, der Wind kommt
aus Süden, wird uns also antreiben. Eigentlich gibt es in Island gar keinen
Wind, nur Sturm, nach unserer Erfahrung jedenfalls. Wenn man gegen den anfahren
muss, stellt man besser sofort sein Zelt auf und wartet ab oder dreht das Rad
in die andere Richtung. Es empfiehlt sich also sehr, den Wetterbericht zu
studieren, bevor man ins Hochland aufbricht, denn auch im Sommer muss man hier
mit winterähnlichen Situationen rechnen. Selbst im Juli, dem normalerweise wärmsten
Monat in Island, ist Neuschnee keine Seltenheit. Fällt die Temperatur, können
in Kombination mit Niederschlag schnell lebensbedrohliche Situationen
entstehen, wenn man nicht entsprechend ausgerüstet ist. Bevor wir gestern vom
Gullfoss weiterfuhren, sprach uns noch ein Franzose mit ernster Miene an und
fragte uns, ob wir eigentlich wüssten, wie hart die Kjölur sei. Er war mit
einem Tretroller(!!!) auf der Strecke unterwegs, eine ziemlich verrückte Idee,
geriet in schweren Sturm und Regen und musste sich am Ende von der Bergrettung
rausholen lassen. Wir fragen nicht, was ihn das gekostet hat…. Ein anderer
Radler, mit dem wir uns kurz unterhielten, musste wegen des schlechten Wetters
ebenfalls aufgeben und stieg in den Bus, der in den Sommermonaten einmal
täglich auf der Kjölur verkehrt und eine gewisse Sicherheit bietet. Auch gibt
es unterwegs Hütten mit Campingplätzen, aber nur wenige und in großen
Abständen. Die Hütten werden nur im Sommer bewirtschaftet, ansonsten ist das
Hochland gänzlich unbewohnt, es ist eine rauhe, wilde Gegend, karg und nur
spärlich bewachsen. Der schwerste Zwischenfall auf der Kjölur ereignete sich Im
Oktober 1780, als beim Schafabtrieb fünf Reiter mit 16 Pferden und 180 Schafen
ums Leben kamen, nachdem sie von einem Schneesturm überrascht worden waren.
Wir dagegen müssen mit solchen Unbilden nicht
rechnen und fahren wie vorhergesagt in einen wunderbaren Morgen hinein – die
Sonne scheint, der Himmel ist (fast) blau. Die Piste ist glatt und lässt sich
prima fahren, was gut ist, denn schon bald geraten wir in die Steigung zum
Hochland, das durchschnittlich 600 bis 800 m über dem Meeresspiegel liegt.
Durch eine karge Grundmoränenlandschaft erreichen wir mit dem Pass Bláfellsháls
(610 m) die vorerst höchste Stelle. Die Kjölur führt zwischen den Gletschern
Langjökull (zweitgrößter in Island) und Hofsjökull (drittgrößter) hindurch, die
schon bald westlich und östlich in Sicht kommen. Wir passieren den Tafelvulkan
Bláfell (1204 m), dann geht es hinunter zum Hvitárvatn, einem wunderschönen
Gletschersee, in den früher eine Gletscherzunge des Langjökull kalbte. Jetzt
schwimmen keine Eisberge mehr im Wasser – wie überall in Island haben sich auch
hier die Gletscherzungen in den letzten Jahren um einiges zurückgezogen. Wir
machen immer wieder Fotopausen – die Landschaft ist grandios. Wenn das Wetter
mitspielt, ist Island das schönste Land auf der Welt.
Hinter dem Hvitárvatn erreichen wir bald die
Hütte Arbudir und machen in der Mittagssonne eine kurze Pause. Die Hüttenwirtin
warnt uns, dass die Piste jetzt bald wesentlich schlechter würde – und das ist
leider tatsächlich so. Nach ca. 30 „guten“ Kilometern haben wir bis zum Abend
nur noch eine sehr schwierige Piste, mit Wellblech, geröllig, grobsteinig,
rutschig, außerdem geht es jetzt auch noch in Wellen stetig auf und ab – wir
fahren heute 1163 Höhenmeter und über 80 km, trotz der sonst guten Bedingungen,
Sonne und leichtem Rückenwind, ein ziemlich harter Tag. Kerlingarfjöll, ein
beliebtes Wandergebiet am Hofsjökull mit einer Hütte und heißen Quellen, müssen
wir leider auslassen, das vorhergesagte schlechte Wetter sitzt uns im Nacken. Auf
den letzten ca. 20 km bis zu unserem Tagesziel Hveravellir ist die Piste für
uns an der Grenze zur Befahrbarkeit, wir müssen immer wieder absteigen und
schieben und sind froh, als wir endlich in Hveravellir ankommen, wo es Hütten
und einen Campingplatz gibt, auf dem die Zelte dicht an dicht stehen. Die Sonne
hat sich schon längst verabschiedet, die Wolken hängen tief und es ist richtig
kalt – den höchsten Punkt der Kjölur (673 m) haben wir überschritten, aber
Hveravellir liegt immer noch 650 m hoch. Die Gegend ist ein bekanntes
Hochtemperaturgebiet, leider sind wir zu müde und durchgefroren, in dem heißen
Naturpool zu baden, obwohl das eigentlich genau das Richtige gewesen wäre.
Auch am nächsten Morgen hängen die Wolken noch
tief, aber dann klart es doch noch auf, die Sonne zeigt sich allerdings nur
sehr selten. Die Piste bleibt bis Afangi, der nächsten und letzten Hütte auf
der Strecke, schlecht. Wir haben v.a. sehr viel „Wellblech“, versuchen aber
trotzdem, Tempo zu machen, denn wir wollen wegen der schlechten
Wettervorhersage unbedingt noch heute die Kjölur verlassen, was sehr schade ist
– man hätte die Strecke mit Abstechern leicht auf mehrere Tage ausdehnen können.
Aber morgen soll ja der große Regen wieder beginnen, für das Hochland ist sogar
Schnee vorhergesagt, da sollte man hier möglichst nicht unterwegs sein. Obwohl
wir auch heute noch fast 800 Höhenmeter fahren, geht es insgesamt mehr abwärts,
außerdem haben wir extrem starken Rückenwind, der uns geradezu fliegen lässt.
Zwei junge Radler kommen uns aus der anderen Richtung entgegen und fahren
grußlos und mit finsteren Mienen an uns vorbei – kein Wunder! Diesen Sturm
möchte man wirklich nicht von vorne haben.
Hinter Afangi wird die Piste wieder deutlich
besser. Gegen 15 Uhr haben wir das Ende der Kjölur erreicht und fahren steil
abwärts ins wunderschöne Tal des Flusses Blanda. Im Vergleich zum kargen
Hochland sieht es hier geradezu lieblich aus: Island-Pferde auf saftig grünen
Weiden, Wiesenblumen, Bauernhäuser mit fotogenen roten Dächern – die reine
Islandidylle. Um 16 Uhr treffen wir wieder auf die Ringstraße, die um ganz Island
herumführt, und Asphalt. Knapp 30 km sind es noch bis zum Ort Blönduós an der
Küste. Am Ende erwischt uns das schlechte Wetter dann doch noch, die letzten 20
km fahren wir in strömendem Regen – der Sommer hat nur ein kurzes Zwischenspiel
gegeben.
Bilanz für die beiden Kjölur-Tage: 194 km,
1869 Höhenmeter, 15 Stunden 48 Minuten auf den Rädern.
Hochlanddurchquerung: Die vorläufig letzten Meter auf Asphalt
kurz vor unserem Übernachtungsplatz
kurz vor unserem Übernachtungsplatz
Unser Wildzeltplatz - leider gibt es hier unglaublich lästige kleine Fliegen.
Gleich fängt die Piste an.
Anfangs ist die Piste ausgezeichnet,
wir sind kaum langsamer als auf Asphalt.
wir sind kaum langsamer als auf Asphalt.
Typische Hochlandszenerie
Gut für uns Radler: Auf der Kjölur gibt es, im Gegensatz zur anderen Hochlandpiste, der Sprengisandur, keine Furten,
alle Flüsse sind überbrückt.
alle Flüsse sind überbrückt.
In der Ferne sieht man eine Gletscherzunge des Langjökull,
des zweitgrößten isländischen Gletschers.
des zweitgrößten isländischen Gletschers.
Der wunderschöne Hvitárvatn : Früher kalbte der Langjökull in den See,
jetzt haben sich die Gletscherzungen wie überall in Island zurückgezogen.
jetzt haben sich die Gletscherzungen wie überall in Island zurückgezogen.
Es geht aufwärts: Der höchste Punkt der Piste liegt auf rund 670 m.
Auf der Kjölur-Piste
Wir haben Glück mit dem Wind: Er kommt von Südwesten,
das heißt von hinten!
das heißt von hinten!
Das erleichtert das Vorwärtskommen auf der schwierigen Strecke enorm.
Schwere Maschinen zur Pistenpflege - leider offensichtlich nicht im Einsatz
Begegnung auf der Piste:
Mehrmals treffen wir Thomas und Karin aus Kopenhagen.
Mehrmals treffen wir Thomas und Karin aus Kopenhagen.
Trotz der schwierigen klimatischen Bedingungen gedeihen
im Hochland diese Blütenpflanzen.
im Hochland diese Blütenpflanzen.
Hochland-Blumen (2)
Hochland-Blumen (3)
Trotz der kräftigen Regenfälle der vergangenen Tage ist die Piste
zu unserem Glück fast völlig abgetrocknet,
tiefe Pfützen wie hier sind sehr selten.
tiefe Pfützen wie hier sind sehr selten.
So sieht in Island Massentourismus aus: Hveravellir, eine Hütte
mit Campingplatz und heißen Quellen an der Kjölur.
mit Campingplatz und heißen Quellen an der Kjölur.
Am nächsten Morgen brechen wir sehr früh auf,
um die Hochlanddurchquerung noch vor den
um die Hochlanddurchquerung noch vor den
für den Abend vorhergesagten Regenfällen abzuschließen.
Hinter Hveravellir wird die Kjölur streckenweise zu einer üblen Wellblechpiste. Autofahrer spüren das gar nicht,
wenn sie nur schnell genug fahren.
wenn sie nur schnell genug fahren.
Für uns Radler dagegen ist Wellblech ein Alptraum -
ähnlich schlimm wie der sehr grobe Schotter in langen Abschnitten der Piste.
Während wir mit Fahrrädern unterwegs sind,
trauen sich andere nur mit Spezial-Geländewagen auf die Kjölur.
trauen sich andere nur mit Spezial-Geländewagen auf die Kjölur.
In diese kleine Schutzhütte hinter Hveravellir
kann man sich bei Unwetter flüchten.
kann man sich bei Unwetter flüchten.
Viele Reisegruppen haben diese Möglichkeit schon genutzt,
wie diese Aufkleber an der Hütte beweisen.
wie diese Aufkleber an der Hütte beweisen.
Auf der Kjölur nach Norden: Die Vegetation ist immer noch sehr karg...
... reicht aber schon für diese Hochlandbewohner.
Mittagspause an der Piste, kurz vor Àfangi.
Islandpferde in der Nähe von Àfangi, der letzten Hütte auf der Kjölur.
Die letzten Kilometer auf der Piste:
Es geht bergab, mit starkem Rückenwind.
Es geht bergab, mit starkem Rückenwind.
Wir begegnen einem Radlerpärchen,
das in umgekehrter Richtung unterwegs ist.
das in umgekehrter Richtung unterwegs ist.
Kein Wunder, dass sie unseren Gruß nicht erwidern.
Für ein kurzes Stück ist die Piste noch einmal ziemlich schlecht.
Letzter Anstieg vor der asphaltierten Ringstraße
Fast oben - und bald wieder auf Asphalt
Am Ende der Hochland-Durchquerung haben wir im Sabbatjahr
bisher 14000 km auf den Rädern geschafft.
14000 km (2)