2.6.2013 bis 12.6.2013
Von Fresno erreichen wir nach einer sehr
angenehmen Bahnfahrt Sacramento. Kaliforniens Hauptstadt, einst als
Goldgräbersiedlung entstanden, hat ein sehr nettes historisches Zentrum, mit
hochgelegten Bürgersteigen aus Holzbohlen und schönen alten Häusern – genauso,
wie man sich eine Stadt im „Wilden Westen“ vorstellt. Sacramento liegt am
Zusammenfluss des Sacramento und American River, an dem entlang ein Radweg
verläuft, der über ca. 50 km in östlicher Richtung zum Folsom Lake führt.
Dorthin fahren wir, übernachten in Folsom auf einem Zeltplatz und radeln am
nächsten Tag wieder zurück. Am Fluss ist die Hölle los, hier wird gebadet,
gepaddelt, gepicknickt, alle suchen nach Abkühlung, denn tagsüber ist es
flirrend heiß. Nachts wird es jedoch erstaunlich frisch – das ist der kühlen
Luft zu verdanken, die vom Meer herüberweht. Sacramento liegt Luftlinie nur ca.
120 km vom Pazifik entfernt und ca. 170 km nordöstlich von San Francisco. Wenn
wir wollten, könnten wir in zwei Tagen dort sein. Aber wir haben noch Zeit,
v.a. weil wir den Abstecher in den „Yosemite National Park“ streichen mussten
und nach Sacramento den Zug genommen haben.
Eine kurze Etappe ist es bis Davis, einer
kleinen, sehr schönen Universitätsstadt. Das Symbol von Davis ist das Hochrad,
der Ort gilt als Fahrradstadt und tatsächlich haben wir nirgendwo sonst in
Kalifornien ein so gutes Fahrradwegenetz erlebt. Es ist gerade Markttag, außerdem
schauen wir uns die „US Bicycling Hall of Fame“ an, eine Art Museum, in dem
amerikanische Fahrradlegenden gewürdigt werden. Lance Armstrong hat als
überführter Doper keine Chancen mehr, hier einen Ehrenplatz zu bekommen,
versichert man uns, allerdings ist eines seiner Fahrräder ausgestellt. Wir
übernachten bei Peggy und John von Warmshowers. Die beiden sind mit über 65
noch „cross country“ gefahren, d.h. sie haben die ganze USA von West nach Ost
durchquert – mit dem Rad natürlich. Das haben wir auch noch auf der Liste. Sie
geben uns gute Tipps für die Weiterfahrt und so radeln wir am nächsten Tag auf
einer ganz ruhigen Straße, die auch landschaftlich sehr schön und total einsam
ist, ins Napa Valley. Dabei müssen wir einen Gebirgszug überqueren, dann geht
es steil hinunter in Kaliforniens bekanntestes Weinanbaugebiet. Eigentlich
hatten wir noch eine Fahrt durch das Napa Valley geplant, aber die Straßen hier
sind extrem stark befahren, außerdem werden wir von mehreren Seiten gewarnt,
dass man jederzeit mit alkoholisierten Autofahrern rechnen müsse, hier kann man
nämlich an jeder Ecke eine Weinprobe machen. So fahren wir nach einer
Übernachtung im Napa Valley State Park gleich weiter, überqueren noch eine
Hügelkette und erreichen das nächste Tal, das Sonoma Valley, ebenfalls ein
bekanntes Weinanbaugebiet. Wir bleiben eine Nacht bei Emily und Bryan von Warmshowers
in Santa Rosa, wo die beiden am Stadtrand ein schönes Haus mit großem Garten
bewohnen. Emily hat superlecker gekocht, zu Besuch sind noch ihr Vater und
Freundin Anne, Bryan macht gerade eine Fahrradtour. Später gibt es „Chicken
TV“, zum Haushalt gehören nämlich außer zwei Katzen noch etliche Hühner, die
wir von der Veranda aus beobachten und die sich auch schon mal auf den Arm nehmen
lassen…..
Am nächsten Morgen fassen wir einen schnellen
Entschluss: Wir werden Kalifornien eine Woche früher als geplant verlassen und
buchen den Flug nach Washington um. Nicht, dass es uns in Kalifornien nicht
mehr gefallen würde, aber für einen weiteren Abstecher in die Sierra Nevada,
etwa zum Lake Tahoe, ist die Anreise zu lang. Der Highway 1 in Nordkalifornien wäre
eine andere Option, doch nach Susan und Brian haben uns auch Peggy und John
dringend davon abgeraten: zu viel Verkehr, die Straße eng, kurvig und ohne
Randstreifen, kurz: supergefährlich. Wir hatten auch überlegt, für ein paar
Tage einen Mietwagen zu nehmen, aber mit dieser Idee können wir uns nicht
wirklich anfreunden.
So verzichten wir auf einen weiteren Schlenker
nach Norden und fahren von Santa Rosa auf direktem Wege zur Küste. Schon am
Abend erreichen wir wieder den Pacific Coast Highway, den wir vor ein paar
Wochen bei Santa Barbara verlassen haben. In Santa Rosa haben wir gestern noch
in der Hitze geschmort, hier dagegen liegt alles im kühlen Küstennebel. Wir
bleiben in der Nähe des Ortes Bodega Bay, unserem nördlichsten Punkt. Ort und
Bay wurden bekannt durch Hitchcocks Film „Die Vögel“ von 1963. Tatsächlich
wurden die meisten Szenen hier und in dem etwas weiter landeinwärts gelegenen
Dorf Bodega gedreht. Bodega Bay ist der größere und touristischere Ort, aber
hier erinnert uns gar nichts an den Film, den wir natürlich kennen. Wir halten
am nächsten Morgen kurz am Hafen – ja, so grau und düster war die Stimmung auch
in dem Film. Wenn mich jetzt eine Möwe angreift, wie in dem Film Tippi Hedren,
bin ich aber ganz schnell weg…. Bodega liegt nur eine Meile von der Küste
entfernt, der Mini-Ort besteht lediglich aus ein paar Häusern, die mit ihrem
altmodischen Aussehen den Eindruck erwecken, als sei hier die Zeit stehengeblieben.
Die ganze Szenerie erinnert mich viel eher an den Hitchcock-Film als Bodega
Bay, wahrscheinlich hat sich hier seitdem auch gar nicht viel verändert. Wir
machen eine Pause in einem kleinen Café, das mit einer Hitchcock-Figur vor der
Tür wirbt. Drinnen gibt es Infos zum Film, Postkarten mit Filmszenen und eine
Tippi-Hedren-Figur mit einer Möwe auf dem Kopf. Aus einer dicken Info-Mappe
erfahren wir, dass die Schule und die direkt daneben befindliche Kirche, die in
dem Film eine Rolle spielen, echte Gebäude darstellten und hier in Bodega
stehen. Natürlich schauen wir uns die noch an, die Kirche kam mir doch gleich
so bekannt vor…. Das Schulgebäude ist heute in Privatbesitz, wir wagen trotzdem
ein Foto.
Den stark befahrenen Highway 1 können wir bald
verlassen und auf den „Shoreline Highway“ ausweichen, der näher an der Küste
vorbeiführt. Hier ist kaum noch Verkehr und die Strecke landschaftlich einfach
nur wunderbar, aber hügelig – wie immer in Kalifornien. Bald erreichen wir den
kleinen Ort Tomales, eigentlich nur ein Flecken, mit hübschen, bunten
Holzhäusern. Bis zum Abend kommt dann gar nichts mehr, außer ein paar
verstreuten Farmen, Restaurants und Hotels. Aber so abgelegen und einsam diese
Gegend auch erscheinen mag – man darf nicht vergessen, dass San Francisco quasi
um die Ecke liegt, nur einen Katzensprung entfernt. In Point Reyes Station
kaufen wir für den Abend ein, gut 10 km dahinter steht dann unser Zelt bald auf
einer Hiker/Biker Site im Samuel P. Taylor State Park. Zwei andere Radler sind
schon da, junge Amerikaner, vielleicht Anfang/Mitte 30. Sie wollen jeden
einzelnen US-Bundestaat „beradeln“ und haben dafür zwei Jahre Zeit. Heute sind
sie nur 15 km gefahren, es ist ihr erster Tag, den sie zusammen mit ihrem
Fahrradausstatter feiern. Die Räder sind nämlich teure Sonderanfertigungen mit
extra langen Gepäckträgern, damit man hinten statt zwei Fahrradtaschen vier
unterbringen kann. Vorderradtaschen haben sie auch, macht zusammen pro Rad
sechs Taschen. Ich habe zwei Radtaschen und einen kleinen Packsack, Gerold hat
vier Taschen und einen dicken Packsack – das ist schon ziemlich viel. Wir sagen
nichts und staunen nur, was die alles dabei haben: schwere Stiefel, zwei
Campingstühlchen (!!), eine aufwendige Küchenausstattung etc. etc. Die würden
wir gerne mal an dem steilen Berg sehen, den wir heute zum State Park runtergefahren
sind – da müssen sie nämlich morgen hoch. Auf dem Wege nach San Francisco
fahren wir am übernächsten Tag gegen Mittag wieder durch den State Park, da
sind die „Edelvagabunden“ (ihre Website: http://www.nomadictemporarystructureenthusiasts.com) immer noch nicht abgereist, aber sie haben ja auch
zwei Jahre Zeit.
Wir machen noch einen Abstecher zum Point
Reyes National Seashore, einem Schutzgebiet an der Pazifikküste, das vom
National Park Service verwaltet wird. Es umfasst im Prinzip eine Halbinsel, die
durch die schmale, ca. 20 km lange, aber nur 1 km breite, wunderschöne Tomales
Bay vom Festland abgetrennt ist, an der wir gestern entlang geradelt sind.
Irgendwann wird aus Point Reyes eine Insel werden, denn das Gebiet liegt auf
der Pazifischen Platte, die im Verhältnis zur Nordamerikanischen Platte nach
Norden driftet. Die Tomales Bay markiert die Plattengrenzen und ist Teil der
San-Andreas-Verwerfung, die sich ab hier bis zur mexikanischen Grenze zieht,
eine der wenigen Plattengrenzen, die man an Land sehen kann.
Point Reyes ist ein Paradies für Naturfreunde,
die Campingplätze sind meist schon Wochen im Voraus ausgebucht, zumal das
Schutzgebiet nur ca. 55 km von San Francisco entfernt liegt und so etwas wie
ein Naherholungsgebiet für diesen Großraum darstellt. Einige wenige Plätze
werden aber für Besucher ohne Reservierung freigehalten und jeden Tag neu vergeben.
Wir haben Glück und ergattern einen Stellplatz auf dem Sky Campground. Der Name
(sky = Himmel) hätte uns eigentlich schon misstrauisch machen müssen – wir haben
den höchstgelegenen Campingplatz im ganzen Schutzgebiet erwischt. Die Anreise
ist knochenhart, nach einem langen Anstieg auf Asphalt müssen wir unsere
beladenen Räder noch über 2 km einen steilen Waldweg hochschieben – der Sky
Campground ist nämlich wie alle anderen Campingplätze hier ein „walk-in“, also
nur zu Fuß erreichbar. Die Belohnung ist ein phantastischer Fernblick aufs Meer,
keine Wolke verdeckt die Sonne. Das bleibt auch am nächsten Tag so, als wir
zurück nach San Francisco bzw. Sausalito radeln.
Im historischen Zentrum von Sacramento
Hier beginnt der rund 50 km lange American River Radweg.
Auf dem American River Parkway (1)
Auf dem American River Parkway (2)
Am Abend, kurz vor dem Campingplatz am Folsom Lake, liegt diese Klapperschlange
auf dem warmen Asphalt. Um ein Haar wäre ich drübergefahren ...
Uschi umschiebt die Gefahrenstelle weiträumig.
Auf dem Campingplatz am Folsom Lake sind wir fast allein. An Wochenenden ist hier die Hölle los.
Von Sacramento geht es weiter Richtung Davis - teilweise wieder auf einem Radweg, parallel zur Autobahn.
Kurz vor Davis: Ein Güterzug "überholt" uns.
Diese ehrenamtlichen Mitarbeiter in der "US Bicycling Hall of Fame" in Davis
werden immer nur nach Lance Armstrong gefragt, beklagen sie sich.
Mit unseren sympathischen Gastgebern Peggy und Jon
Hinter Davis ist die Landschaft halbwüstenartig.
Dieses Schild sieht man in Kalifornien häufig, wir empfinden es als Drohung.
Es bedeutet: Der Randstreifen hört bald auf, macht Euch darauf gefasst,
dass ihr dann zu den vielen Autos und Trucks auf die Straße müsst.
Im Napa Valley, dem berühmtesten kalifornischen Weinanbaugebiet
Santa Rosa/Sonoma Valley: Leckeres Abendessen mit Emily (2. von links), ihrem Vater und Freundin Ann
Chicken TV mit Emily
Skurrile Begegnung auf dem Radweg hinter Santa Rosa.
Hier WOHNT jemand: Am Rand kalifornischer Städte (hier: Santa Rosa) hausen oft Obdachlose.
Hiker/Biker-Zeltplatz im Sonoma Coast State Park nördlich von Bodega Bay
Im Hitchcock-Ort Bodega Bay (1)
Im Hitchcock-Ort Bodega Bay (2): Der einzige Laden
Vor 50 Jahren in Bodega gedreht: "Die Vögel".
Bodega: Begegnung mit dem Meister persönlich
Die Kirche von Bodega - genauso wie man sie aus "Die Vögel" kennt.
Das ehemalige Schulgebäude, auch eine Filmkulisse aus "Die Vögel"
Päuschen im Café von Tomales
Kurz vor der Tomales Bay: Genau hier verläuft der San-Andreas-Graben zwischen
der nordamerikanischen und der pazifischen Kontinentalplatte.
Die spezialangefertigten Super-Schwerlasträder der "Edelvagabunden"
Point Reyes National Seashore: Auf dem Weg zum Sky Campground
Unser Zeltplatz auf dem Sky Campground
- von der tollen Aussicht sieht man auf diesem Bild leider nichts.
Auf dem Rückweg nach San Francisco
Nach exakt 6 Wochen zurück im "heimatlichen" Sausolito: Der Blick auf die Skyline von San Francisco